Die Spuren sind fast verweht

■ Ausstellung über Emigration und Rückkehr nach 1945

Hellmut Stern war zehn Jahre alt, als er im November 1938 zusammen mit seiner Familie vom Anhalter Bahnhof über München nach Italien und von dort mit dem Schiff nach China ausreiste. „Ich war furchtbar stolz, daß wir weiter weg fuhren als alle anderen. Palästina war bekannt, Amerika, England oder Frankreich ebenso, aber China nicht, die Mandschurei schon gar nicht“, erinnert sich der Musiker. Die Stadt Harbin, das „Paris des Fernen Ostens“, wurde seine neue Heimat. Dort studierte er Musik und wurde Mitglied des Symphonieorchesters Harbin. Als im Mai 1946 chinesische Truppen die Stadt Harbin besetzten, war eine legale Ausreise fast aussichtslos geworden. „Wir hatten keine Hoffnung mehr. Nach allen vergeblichen Anläufen fühlten wir uns vergessen.“ 1949 konnte die Familie Stern nach Israel ausreisen. Erst 12 Jahre später – nach einem Zwischenstopp in Amerika – kehrte Hellmut Stern endgültig nach Berlin zurück. „Berlin habe ich in den ganzen Jahren des Exils niemals vergessen und mich immer dahin zurückgesehnt. Jetzt nach 34 Jahren habe ich wieder Wurzeln gefaßt.“

Seine Geschichte ist eine von 73 Lebensgeschichten, die in der Ausstellung „1945: Jetzt wohin? Exil und Rückkehr... nach Berlin?“ seit gestern auf dem Gelände des Anhalter Bahnhofs zu sehen und zu lesen sind. Selbstzeugnisse, Dokumente und Fotos geben einen sehr persönlichen Eindruck über Lebensumstände, Gefühle und Überlegungen derer, die damals aus Deutschland ausgewandert sind. „Wir haben aus 3.000 Berliner EmigrantInnen-Schicksalen die Lebensgeschichten ausgewählt, die weniger bekannt sind“, erklärt Christine Fischer-Defoy vom Aktiven Museum Faschismus und Widerstand in Berlin die Konzeption der Ausstellung. Die Berliner Emigration habe es ohnehin nicht gegeben.

Die AusstellungsmacherInnen haben auch eine wunderbare Form der Darstellung gefunden. 73 Bild- und Texttafeln drehen sich im Wind. Ein Symbol für die Verwehtheit und Zerbrochenheit, die sich in den Lebensgeschichten wiederfindet. Auch die Spuren der Emigranten sind fast verweht. Michaela Eck