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Untypisch, aber naheliegend

■ Feine Spitzen: „Insan Haklari – Menschenrechte“, eine Ausstellung des türkischen Karikaturisten Turhan Selçuk

Freundlich blickend, mit einer dicken Sonnenbrille auf der Nase, sprintet ein Anzugträger über das Bild. In der rechten Hand hält er eine Leine aus schwarzen Kettengliedern, an der er sein Opfer mitzerrt – eine große weiße Taube. Am Hals ein breiter Stahlring. Sie trägt so schwer an ihrer Last, daß sie auf Körperhöhe mitfliegen muß. Gleich daneben hängt ein Porträt, das jeder kennt: der Kopf der New Yorker Freiheitsstatue. Elendig aufgespießt an einem ihrer dolchartigen Zacken Picassos Friedensbotschafter mit dem Ölzweig im Schnabel. Eine dritte Zeichnung zeigt zwei Frauen im Profil, die sich gegenseitig fotografieren. Die eine im schwarzen Schador, die andere oben ohne und sonnengebräunt. Bilder aus der Ausstellung „Menschenrechte“ von Turhan Selçuk in Sprendlingen bei Frankfurt am Main.

Zwölfmal ist er international bereits für seine unverwechselbaren Karikaturen geehrt worden. Schlichte Symbolik, einfache Pinselstriche und Pointen mit unmittelbarer Schlagkraft. Das Typische seiner Arbeiten war und ist stets das untypisch Naheliegende. Turhan Selçuk gilt als der Begründer einer Kunstgattung, die uns heute so selbstverständlich erscheint. Er entwickelte die Karikatur, die ohne viel Worte auskommt. Zu seinen beliebtesten Motiven gehören die Taube, die Erdkugel und Raketenspitzen. Seine Figuren bleiben immer individuell, sind nie gleich.

Turhan Selçuk zeigt die Banalität des Bösen aus jeder Perspektive. In einer fiktiven Opernloge etwa sitzen ein Dutzend Menschen und blicken durch ihre Ferngläser. Der Betrachter sieht lauter überdimensionale Linsenpaare. Mittendrin das runde Glas eines Zielfernrohrs, das auf einem Gewehrkolben angebracht ist. Der Betrachter ist das Beobachtungs- und das Bedrohungsobjekt zugleich. Genau das macht Selçuks Bildsprache so international. Manche Kritiker haben ihn deswegen auch den Esperanto unter den politischen Zeichnern genannt.

Der türkische Karikaturist und Radikaldemokrat legte sich immer wieder mit den Mächtigen seines Landes an. Nach dem zweiten Militärputsch 1970 kam er in Haft. Warum, weiß er bis heute nicht. Die Militärs werden sich wohl an seinen Karikaturen gestoßen haben. Eine „Erinnerung“ an diese Zeit trägt er noch heute: zwei gebrochene Rippen. Selçuk wurde vom Publikum ausnahmslos geachtet und von den staatlichen Organen ebenso konsequent geächtet. Sinnigerweise wird die Wanderausstellung, die nach der Zwischenstation in Sprendlingen in Dänemark und Österreich zu sehen sein wird, vom türkischen Außenministerium gefördert. Die Türkei benutzt den „milden Karikaturisten“ als Aushängeschild für die vorgebliche Demokratisierung des Landes. Selçuk hat dies nur zähneknirschend akzeptiert.

„Wenn das auch wie eine Prostitution meinerseits wirkt. Ich verstehe das trotzdem als kleinen wichtigen Schritt in Richtung Demokratisierung“, wehrt Selçuk kritische Fragen ab. Er habe sich nicht mit der Regierung arrangiert. Er hoffe aber, daß irgendwann aufgrund dieser Initiative ein weiterreichender Austausch mit kritischen Intellektuellen aus der Türkei möglich werde. Auf der Karikaturenschau zu sehen sind denn auch Bilder allgemeineren Inhalts. Schärfere, sein Heimatland betreffende Zeichnungen sind in der Türkei geblieben. „Sie würden hier nicht verstanden“, bemerkt der Autor in Anwesenheit von türkischen Konsulatsvertretern.

Kaum eine seiner Karikaturen nahm zwar direkt politische Ereignisse aufs Korn oder gab einen bestimmten Politiker der Lächerlichkeit preis. Seine gezeichneten Tiraden trafen Ankara trotzdem tief ins Herz. Denn der zensurgeplagte 73jährige versteht sich blendend auf hintersinnige Metaphern, etwa im Bild des schnauzbärtigen Herrn, der unbekümmert eine aus knienden Menschen geformte Treppe hinaufgeht, um seinen Sessel zu besteigen.

„Ich bin kein Freund von Regimen. Seien sie am Bosporus oder sonstwo“, erklärt Selçuk. Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen und die Mißachtung der Freiheit und Würde des einzelnen trügen jedoch ebenso stark auch die modernen Staaten und Republiken. Für Selçuk ist der Reichtum der Industrienationen, der Prunk in Paris, Rom und London nicht von der Unterdrückung in den Kolonialgebieten zu trennen: „Der Westen greift gerne die Türkei an – und oft muß es leider sein –, aber er kehrt nicht vor der eigenen Haustür.“ Franco Foraci

Bis 11. 5. in Sprendlingen bei Frankfurt am Main.

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