piwik no script img

„Lieber eine Cyborg als eine Göttin“

Donna Haraways „Manifest für Cyborgs“: Ein theoretischer Text verursacht Herzklopfen  ■ Von Ulrike Baureithel

„Wir sind alle Cyborgs, Jod. Du bist nur eine reinere Form dessen, wohin wir alle streben.“ Was wie die hybride Phantasie eines High- Tech-Ingenieurs klingen mag, stammt aus Marge Piercys feministischem Science-Fiction-Roman „Er, Sie und Es“. Es handelt sich um das Bekenntnis seiner Protagonistin Shira, die im Jahre 2059 in der freien Stadt Tigva lebt, einer Enklave inmitten eines verseuchten, verelendeten und von Multis kontrollierten Planeten. Jod, Shiras Freund und späterer Geliebter, ist ein in Forschungslabors geschaffener Cyborg, der das verwundbare und gefährdete Gemeinwesen beschützen soll. Als „Maschine mit Bewußtsein“ besitzt er zwar die Gestalt eines Mannes, doch er besteht aus Kristallen, Bio-Chips und Nervennetzen.

Der Cyborg Jod kann als Fiktion der menschlichen Sehnsucht gelesen werden, aus der eigenen Haut zu schlüpfen und sich in eine unverletzbare und überlebensfähigere Maschine, die von den Verwüstungen der Zeit und dem Schmerz der Erinnerung unangefochten bleibt, zu projizieren. Cyborgs sind Artefakte an der Schnittstelle von Mensch und Maschine. Da sie durch ihre Fähigkeit zur unendlichen Verdoppelung von den Gesetzen der menschlichen Reproduktion unabhängig sind und keiner „biologischen Uhr“ gehorchen, verfügen sie weder über einen individuellen Ursprung („Eltern“), noch sind sie den Identitätszwängen der menschlichen Spezies ausgeliefert. Das entlastet sie vom Drama der Selbstrepräsentation, der Notwendigkeit, das Selbst im Spiegel eines jeweils „Anderen“ herzustellen. Jenes in den menschlichen Ursprungsmythen imaginierte „Andere“ nämlich (die grenzverletzende Eva beispielsweise), das als Differentes das eine, das Selbst, konstituiert und zugleich bedroht.

Nun ist dies natürlich nur eine – ziemlich freundliche – Interpretationsmöglichkeit von Cyborgs, denn zweifelsohne sind diese „künstlichen Geschöpfe“ Resultat der kriegerisch-patriarchalen Gesellschaften am Ende des 20. Jahrhunderts, und es ist nur eine Frage der Phantasie, sich vorzustellen, zu welchen barbarischen Ungeheuerlichkeiten diese Mensch-Maschine „angestiftet“ (das heißt programmiert) werden kann. Trotzdem zeichnet sich in dieser groben Skizze bereits ab, welcher Art die Attraktion ist, die der/die Cyborg für ein radikales feministisches Bewußtsein haben könnte. Nachdem die sex/gender- Unterscheidung das Dilemma der „markierten Körper“ nur auf einem neuen Niveau reproduziert, ist die Frage, wie (geschlechtlich bestimmte) Körper hergestellt werden, weiterhin umstritten. Darüber hinaus ist im Zeitalter der Gen- und Informationstechnologie der organische Körper selbst und die Grenzen zwischen Tier, Mensch und Maschine problematisch geworden.

Solche Fragen formulierte die amerikanische Wissenschaftlerin Donna Haraway bereits 1989 in ihrem provozierenden „Manifesto for Cyborgs“, das nun endlich zusammen mit drei weiteren richtungweisenden Essays und einem Interview in deutscher Sprache erschienen ist. Die lange zeitliche Verzögerung läßt sich wohl nicht nur mit den Schwierigkeiten erklären, die die eigenwilligen Texte ihren sechs (!) ÜbersetzerInnen bereiteten, sondern auch mit deren radikaler Perspektive, die hierzulande aufschrecken und manchen Empörungsschrei auslösen dürfte.

Vorauszuschicken ist, daß Haraway unter Cyborgs nicht nur die technologisch-organischen Objekte versteht (also etwa die Figur Jods bei Piercy), sondern den Begriff gleichzeitig auch als oppositionelle feministische Erzählfigur („die“ Cyborg) gebraucht. Cyborg ist sowohl das künstliche Produkt, die Vermischung von Organischem und Künstlichem, als auch das in der postmodernen Welt lebende, fragmentierte Subjekt. In diesem Sinne ist „die“ Cyborg eine Metapher für die Grenzüberschreitung, beziehungsweise des An-der-Grenze-Lebens. Damit wird das, was wir gewöhnlich als „reinen“ Organismus oder „reine“ Maschine bezeichnen, zumindest uneindeutig und deren Grenzen als von Menschen festgelegte markiert. Mit der Figur des/der Cyborg wird die Vorstellung von der „Ganzheit“ des Körpers grundlegend erschüttert.

Nun sind es nicht nur die empirisch-technologischen Realitäten, (gleichgültig wie man sich zu ihnen verhalten mag), die für die Evidenz dieser Denkfigur sprechen. Vergegenwärtigen wir uns die Schwierigkeiten, aus den die Industriegesellschaften prägenden Dualismen (Geist/Körper, Kultur/Natur, Mann/Frau etc.) auszubrechen, anstatt den jeweils „negativen“ Pol nur „aufzuwerten“, dann ist ein Konstrukt, das sich dieser Dichotomien entledigt, durchaus faszinierend. Statt wie bisher „Seins- Weisen“ des Organismus, der Reproduktion, der Sexualität, der Familie und so weiter zu naturalisieren und neue Ursprungsgeschichten ins „Leben“ zu rufen, hält das zukünftige „polymorphe Informationssystem“ (Haraway) Strategien bereit, die sich der Ontologisierung als „natürliche Objekte“ grundsätzlich entziehen.

An die Stelle von „Organismus“ treten nun „biotische Komponenten“, von „Reproduktion“ „Replikation“, statt Repräsentationspolitik gelten Simulationspolitiken und so weiter. Diese neuen Strategien sind miteinander vernetzbar und keine einzige ist auf sich selbt als „Ursprung“ zurückzuführen. „Am Anfang war die Kopie“, provoziert Haraway das einheitsstiftende Ursprungsdenken, „und für Cyborgs und Frauen ist dies der ontologische Normalzustand“. Nicht Identität charakterisiert den in einer solchen Welt lebenden Menschen, sondern „Affinität“ und das Bewußtsein „brüchiger Identitäten“. Fragmentierung indessen ist nicht nur eine vorherrschende Erfahrung der einzelnen Frau, sondern auch, wie die letzten beiden Jahrzehnte offenbarten, der Frauen untereinander. Es läßt sich schon jetzt absehen, daß Frauen von der neuen industriellen Revolution anders erfaßt werden als Männer und sich neben den Reproduktionsverhältnissen auch die gesamte Haushaltsökonomie verändern wird.

Dies bedacht, tun sich Feministinnen laut Haraway keinen Gefallen damit, wenn sie weiterhin eine Politik betreiben, die mit der privilegierten Position der weiblichen Unterdrückung argumentiert. In einer expliziten Auseinandersetzung mit Catherine MacKinnon kritisiert sie die Neigung amerikanischer Feministinnen, die politischen Raster des abendländischen Denkens zu reproduzieren, indem sie die vielfältigen Differenzen auf ein einziges reduzieren. Während der marxistisch inspirierte Feminismus „Arbeit“ als irreduzible Kategorie setzt, wird die weibliche Erfahrung bei den Vertreterinnen des radikalen Feminismus auf Gewalt verengt.

In gewisser Hinsicht plädiert Haraway für ein radikales, kritisches Einverständnis mit den Möglichkeiten der modernen Informationsgesellschaft. Ebenso wie die Maschinen des späten 21. Jahrhunderts, die Cyborgs, zweideutig geworden sind, sieht sich die gelernte Biologiehistorikerin als „Dissidentin“ im System des Technoscience. Völlig falsch sei es nämlich, die Maschine als etwas Feindliches, uns Äußerliches wahrzunehmen, das nun gebändigt, beherrscht, beseelt werden müsse; vielmehr wäre es an der Zeit anzuerkennen, daß die Maschine „wir selbst sind, unsere Prozesse, ein Aspekt unserer Verkörperung“, für deren Codierung wir verantwortlich sind.

Aber wodurch wird diese „Körper-Maschine“, dieser denaturierte „Netzwerk-Körper“ konstituiert? Im Unterschied zu Butler, die auf die diskursive Herstellung des (Geschlechts-)Körpers abhebt und damit, so Haraway, letztlich sex zu einer beliebig anzueignenden Ressource für die Repräsentation von gender macht, besteht die Biologin auf der Verknüpfung von Körpern und Bedeutungen. Der Körper sei ein (Wissens-)konstrukt, das heißt hergestellt, gleichzeitig aber auch „materiell-semiotischer Akteur“. „Organismen werden nicht geboren, sondern gemacht“, heißt es in Abwandlung der berühmten Sentenz von Simone de Beauvoir, doch sie sind handlungsfähig und haben Anteil an der Herstellung ihrer Grenzen.

Was damit gemeint ist, demonstriert Haraway in einem anspruchsvollen Beitrag zum modernen Diskurs über das Immunsystem, der „die Grenzen dafür festlegt und aufrechterhält, was als Selbst und was als Anderes gelten kann“. Bis in die Siebziger hinein galt das Immunsystem als bedeutungsdeterminierender Code mit einer zentralen Steuerungseinheit und war für die Harmonie des Organismus zuständig. Mittlerweile wird das Immunsystem als ein kybernetisches System konstruiert, in einem „Netzwerk-Körper“, der nun nicht mehr nur durch ein bedrohliches „Außen“, sondern durch die eigenen Bestandteile heimgesucht und gefährdet wird. In den immunologischen Diskursen wird der Körper damit zum Schlachtfeld eines unverwundbar gedachten „Selbst“, das durch die „Semantik von Verteidigung und Invasion“ geprägt ist.

In der Vorstellung des Körpers als ein Feld „innerer Differenzen“ – ein wichtiger Begriff im Denken Haraways – liegt aber auch eine erkenntnistheoretische Chance. Sie verweist darauf, daß sich Grenzen jedweder Art materialisieren in der sozialen Interaktion und damit als hergestellte und vorläufige erkannt werden können, in einem Prozeß, den man Wissenschaft nennt. Jedes Wissen ist ein „verdichteter Knoten in einem Machtfeld“ und anfechtbar. Haraways feministische Erkenntnistheorie versucht durch „begrenzte Verortung“ und „situiertes (verkörpertes) Wissens“ der Vielfalt der Lebensverhältnisse und Existenzweisen des multiplen Subjekts gerecht zu werden. Statt omnipotenten „objektiven“ Erkenntnisansprüchen nachzujagen, gilt es, eine „partiale Perspektive“ zu entwickeln, die, im Gegensatz zum Relativismus, Verantwortung übernimmt und handlungsfähig macht.

Dazu bedarf es der Einmischung in das männliche Wissenschaftsprojekt, in das „Feld des Jägers“. Das ist nicht nur metaphorisch gemeint, sondern verweist auf die Geschichte der Primatologie, die Wissenschaft vom menschlichen Ursprung, die in unserem Zusammenhang deshalb von herausragender Bedeutung ist, weil es dabei um den „unmarkierten menschlichen Ort in der Natur“ und dessen Grenzen geht. Haraways Essay über den „Streit um die Natur der Primaten“ (übrigens in einer ausführlicheren und verständlicheren Fassung nachzulesen in dem von Orland und Scheich herausgegebenen Band) zeigt, wie die entscheidenden Modellmodifikationen in der Primatologie mitgetragen wurden von der „Revolte der Töchter“. Die Wissenschaftlerinnen haben die Frage, was es bedeutet, ein weiblicher Mensch oder ein weibliches Tier zu sein, von ihrem „situierten Wissen“ aus beleuchtet; das führte nicht automatisch zu plausibleren Geschichten über die „Natur“ des Menschen, aber die wissenschaftsgeschichtliche Studie macht deutlich, daß sich Frauen an der Aushandlung der modernen wissenschaftlichen „Erzählmuster“ beteiligen sollten.

Als Herausforderung an die Gegnerinnen der Gen- und Reprotechnologie muß wohl auch Haraways Formel von der Biologie als „feministische Politik mit anderen Mitteln“ verstanden werden. Es sei ein folgenreicher Irrtum zu glauben, dem kybernetischen und patentierten Körper einen rettungswürdigen organischen Körper als Ressource entgegensetzen zu können, ebensowenig wie „naturreine“ Lebensmittel den gentechnologisch „verseuchten“. Weder sei die Natur „von Natur aus“ rein, noch der Körper „Organismus“ im Sinne einer natürlichen Schöpfung. Obwohl die Wissenschaftskritikerin den High-Tech-Labors oder dem Agro-Busineß wenig philanthropische Regungen unterstellt, dürfte ihre eher positive Haltung gegenüber den Zukunfstechnologien vielfach Unverständnis und Ablehnung auslösen.

Wer ihre Skepsis gegenüber Positionen, die von einer radikalen Entgegensetzung von Natur/Kultur ausgehen, teilt und sich auf ihr konstruktivistisches Denken einläßt, wird bei Haraway faszinierende Denkanstöße finden, die einer ähnlich kontroversen Rezeption harren wie die Butlers. Offenbar bedarf die kalifornische Vordenkerin ebenso wie ihre Kollegin aus Baltimore der ExpertInnen- Exegese; dem dient die Einleitung von Carmen Hammer und Immanuel Stieß, die Haraways Thesen in die zeitgenössische feministische Debatte einbettet. Die teilweise sehr präzise Interpretation bleibt allerdings ratlos gegenüber Haraways Vorliebe für Science-Fiction, die diese methodisch höchst problematisch in ihre wissenschaftlichen Betrachtungen miteinbezieht und deren apokalyptische Szenarien – „Katastrophe, Überleben und Metamorphose“ –, trotz Dementis der Autorin, das „Ursprungschaos“ wiederholen.

„Ich wäre lieber eine Cyborg als eine Göttin“, bekennt Haraway am Ende ihres Manifests. Sie meint das natürlich in übertragenem Sinn, weil ihr die „Neuerfindung der Natur“ im Cyborg-Modell vielversprechender erscheint als ein umgewerteter Göttinnen-Mythos. Das nicht hintergehbare Problem ist nur, daß Cyborgs in den Händen ihrer Erfinder Waffen sind – wie Jod. Jod stirbt, weil er nicht mehr Soldat mit Bewußtsein sein will, und Shira akzeptiert diesen Wunsch: Von Jod gibt es keine Replikation.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen