: Dreißig Thunfische mittleren Gewichts
Vor der apulischen Küste machen Italiens Militärs als Fischer getarnt Hatz auf Immigranten und Atomschmuggler / „Schließlich müssen wir ja die Festung Europa bewachen“, sagt der Feldwebel ■ Von der Adria Werner Raith
Auf sein Nachtsichtgerät war Feldwebel Carmine D'Amico bislang besonders stolz. „Beutestück aus der ehemaligen Tschechoslowakei“ sagt er, „so was gibt's in der ganzen Nato nicht.“ Dafür nahm er gern in Kauf, daß ihn seine Kameraden auf dem Schiff als „Marsmännchen“ verspotten, wenn er den dafür nötigen Helm mit den langstieligen Glupschlinsen über den Kopf stülpte. Das Gerät läßt Menschen durch Nacht und Nebel auch noch auf zwei Kilometer sichtbar werden, „und Schiffe oft schon auf fünf bis sechs Meilen“.
Innerhalb von weniger als einer halben Stunde hat der Feldwebel eine Karte mit nicht weniger als siebzehn kleineren oder größeren Schiffen in der Umgebung auf ein Blatt Papier aufgezeichnet, dazu deren Fahrtrichtung und mutmaßliche Geschwindigkeit. Verdächtige sind zunächst allerdings nicht dabei. „Die kommen erst gegen Mitternacht“, sagt er, „da geht der Mond unter und der Dunst zieht sich in einer Höhe von fünf bis sechs Metern über dem Meer zu.“
Am Largo di Otranto, an der äußersten Kante des italienischen Stiefelabsatzes südlich von Brindisi hat das Nachtsichtgerät dem Feldwebel schon mehrere Male eine Art Siegprämie für das Aufspüren verdächtiger Kutter und Fähren eingebracht. Feldwebel Carmine D'Amico gehört zu den mittlerweile fast 2.000 Mann aus Polizei, Küstenwache, Carabinieri, Finanzwache und seit voriger Woche auch aus dem Militär, die den rapide zunehmenden Anlandungen von Immigranten an der Südküste Apuliens entgegenwirken sollen. Nach Satellitenaufnahmen könnten es pro Nacht mehr als hundert Schiffe sein, die – meist gerade außerhalb der Siebenmeilenzone, der Fahndungsgrenze für nationale Sicherheitskräfte – ihre menschliche Fracht in Schlauchboote oder halblecke Kähne setzen und dann schnell abdrehen.
Ob die Menschen – aus Sri Lanka oder Pakistan, Afghanistan oder aus afrikanischen Staaten – wirklich an Land kommen, ist den Schleppern gleichgültig. Sie haben vor der Einschiffung bis zu 10.000 Dollar pro Nase kassiert, die oft ganze Sippen zusammengekratzt haben, damit einer der ihren im goldenen Westen etwas verdient und sie unterstützen kann. Das Schleppergeschäft funktioniert selbst dann, wenn die gesamte Ladung ertrinkt – niemand kontrolliert, und wer durchkommt, gerät sowieso meist in die Hände düsterer Organisationen wie der apulischen „Sacra Corona Unita“, die die Einwanderer bis aufs Blut ausbeuten und keinen Kontakt mit der Heimat zulassen.
Nach Ansicht der Küstenwache liegen schon mehrere Boote mit ausgesetzten Immigranten auf dem Meeresboden – Sonden, die auf harte Gegenstände unter dem Wasser ansprechen und die ansonsten Schmuggelgut orten sollen, lassen diesen Schluß zu. Nachsehen, ob da noch jemand drin ist, wäre zu teuer – man zieht es vor, die Augen zu schließen. „Außerdem wären die ja eh tot, und keiner kennt sie.“
Feldwebel D'Amico, dem Freunde einst eine eher umgängliche Art nachsagten, ist hart geworden. „Da hatten wir bei Leuca ein leckes Schlauchboot mit gut zwanzig Tamilen ausgemacht und die Leute auf ein Küstenwachboot verbracht, kurz bevor das Vehikel abgesoffen ist. Vorm Einlaufen in den Hafen dann haben wir noch zwei halblecke Rettungsboote aufgegriffen und die Leute, so acht oder zehn, auch auf das Schiff gebracht – und was denkst du, was geschieht? Statt daß die ihrem Herrgott und uns danken für die Rettung, gehen sie aufeinander los.“ Die zweite Ladung stammte nämlich ebenfalls aus Sri Lanka, es waren aber keine Tamilen, und so setzte sich der srilankische Bürgerkrieg auf den Schiffsplanken fort.
Der Feldwebel stülpt sich erneut sein Nachtsichtgerät über. Daß er inzwischen an dem Apparat keine rechte Freude mehr hat, hängt damit zusammen, daß er vor zwei Wochen von seinem Schnellboot auf einen Fischkutter versetzt wurde, weil viele Schmuggler mittlerweile ihrerseits mit modernstem Gerät ausgerüstet sind, das schon auf größere Entfernung Patrouillenboote von Fischern unterscheiden hilft. Dennoch habe er auch jetzt „noch eine beachtliche Strecke“ von Entdeckungen vorzuweisen, knurrt er vor sich hin: „Da ist viel Instinkt mit im Spiel. Schließlich müssen wir ja die Festung Europa bewachen.“ Er lacht vor sich hin. Dann bedeutet er dem Steuermann, einen Kurswechsel vorzunehmen, läßt die Positionslampen löschen. Der Motor macht nur schwache Fahrt. Nun schaltet der Feldwebel einen Lautsprecher nahe der Wasserkante ein, der vom Tonband Geräusche ähnlich dem Zuwasserlassen des Fischernetzes wiedergibt. „Das beruhigt die Burschen ringsum“, sagt er.
Angestrengt lauscht er in die inzwischen mondlose Nacht hinaus, deutet wortlos eine neue Richtung an und gibt dann plötzlich den Befehl: „Volle Kraft voraus!“ Der Lautsprecher rattert immer noch, Carmine D'Amico hat nun sein Nachtsichtgerät aufgesetzt, ein Funksprechgerät in der Hand und spricht schnell dreimal hintereinander: „Der Delphinschwarm von gestern geht in Richtung Ithaka“ ins Mikrophon und läßt die Motoren wieder abschalten. Nur wenig Minuten danach sind von mehreren Seiten her Nebelhörner zu hören, dann ein Schuß, danach steigen etwa sechs bis acht Kilometer voraus einige Leuchtraketen zum Himmel.
Und dann wird es auf dem Sprechfunk lebendig. Carmine D'Amico setzt seinen Helm ab. „Sie haben ihn“, sagt er zufrieden und setzt eine neue Route fest. Etwa eine Stunde danach, gegen drei Uhr, kommt ein Spruch durch: „Dreißig Thunfische mittleren Gewichts, der Markt wird sich freuen.“ Carmine nickt befriedigt und übersetzt: „Männer und Frauen, dreißig, alle aus Asien. Arme Schweine.“ Dann reckt er sich hoch: „Trotzdem“, sagt er, wohl eher zu sich selbst als zu uns, „trotzdem. Festung Europa. Aber was soll das alles. Ich weiß es auch nicht.“ Dann gibt er sich noch einen Ruck und ordnet einen erneuten Kurswechsel an.
Der Fischerkapitän grunzt ob der neuen Route: „Denkst du, wir können heute nacht doch noch mal die Netze runterlassen?“ Der Feldwebel hebt die Schultern, „Ach was“, sagt er, „wirst bald nichts mehr zu fischen haben, wenn's so weitergeht.“ Er nickt hinaus aufs dunkle Meer: „Wenn diese Völkerwanderung nicht aufhört, mußt du bald mit Pakistanern oder Kambodschanern um die Wette angeln.“ Der Kapitän ist nicht so ganz davon überzeugt: „Vielleicht kommen die nur, weil unsere Großfischer ihnen ihre eigenen Meere leerfischen?“
Carmine ordnet erneut „absolute Stille an“ – wahrscheinlich wird ihm die Debatte zu dumm. Zehn Minuten ist nur das Gluckern des Wassers zu hören – dann kommt die Belohnung: Ein Tuckergeräusch nähert sich, der Feldwebel stülpt sich seinen Helm über und deutet auf „halbrechts“.
Aus dem Dunst kommt nach einer halben Stunde der Umriß eines größeren Schiffes in Sicht, mit einer kaum erkennbaren Flagge auf dem Top. Feldwebel D'Amico schlüpft tiefer in seine Windjacke. Dann gibt er über Funk die Nachricht durch: „Cefalu in größeren Mengen etwa zehn Meilen vor Otranto“. Das Schiff vor uns wird schneller und bringt durch seine Heckwelle unseren Trawler heftig ins Schaukeln. Eine Stunde später dümpeln wir längsseits des Schiffes: Drei Patrouillenboote der Militärmarine haben es zum Halten gebracht, ein Dutzend Uniformierter hangelt sich an Bord.
Es wird der Fang der Nacht; reihenweise Kisten, in denen nicht das Deklarierte enthalten ist. Zumindest zwanzig größere Behälter mit geschmuggelten Zigaretten haben die Zöllner bereits ausgepackt. Der Kapitän des Dampfers schreit oben auf der Reling auf Englisch herum. Er sei außerhalb der geschützten Zone und habe gar nicht Italien anlaufen wollen, sondern Kroatien, und er sei lediglich vom Kurs abgekommen. Wenig später übernimmt ein Matrose der italienischen Marine das Kommando. „Genauso haben wir auch die Korabi neulich erwischt“, sagt Carmine stolz: ein albanischer Schiffkutter, auf dem man schon bei der ersten Kontrolle schwach radioaktive Strahlung entdeckt hatte, und der nun verdächtigt wird, bereits mehrere Male Uran und Plutoniumproben nach Italien gebracht zu haben – „echtes, aus der GUS“, wie Carmine süffisant zum deutschen Berichterstatter bemerkt, „nicht solches, das wir erst dort hingebracht und dann wieder zurückgeholt haben“.
Aus dem Dunkel tauchen allmählich die Lichter der Hafenmole von Otranto auf, dahinter die schwach beleuchteten massiven Rundtürme der mittelalterlichen Stadtmauer. „Am Ende“, stellt der Feldwebel fest, „findet man wirklich überall etwas, was nicht auf die Schiffe gehört – schwarze Menschen oder schwarzes Uran – da ist wenig Unterschied: alles Schmuggelgut.“
Am hinteren Dock liegt das aufgebrachte Schiff vor Anker, hermetisch abgeriegelt, damit niemand von Bord kann: Beim Betreten italienischen Bodens stünde jedem das Recht auf einen Asylantrag zu. So aber werden nur Fingerabdrücke genommen, Fotos verglichen, und sobald die Behörden mitteilen, daß keine bekannten Straftäter darunter sind, werden die Immigranten wieder abgeschoben. Diesmal sind es Afghaner, die man im Schiffsbauch gefunden hat, „lauter Gestalten nah am Verrecken“, wie ein Kollege D'Amicos beim Empfang am Kai berichtet. Carmine D'Amico grinst: „Und wie viele sind euch entkommen?“ An die fünfzehn wohl, antwortet sein Kollege, ohne mit der Wimper zu zucken. „Fünfhundert bis tausend können das jede Nacht sein“, sagt D'Amico und packt sein Nachtsichtgerät ein, „und da soll noch einer Buch führen.“
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