: Das Schaufenster als Totengruft
■ Mini-Installation von Esther Schaefer in memoriam Buntentorsteinweg 372-76
Was ist das: Gestritten, gespielt, gefeiert, geträumt, geputzt, angemalt, geschlafen, ausgestellt, hingehört, eingeheizt, gewohnt, eingezogen, angegeben, gekocht, eingeladen, geküßt, gefrühstückt, aufgewacht, durchgefegt? Das ist – nein, das war das Leben im besetzten Häuserkomplex Buntentorsteinweg 372-76 in der Neustadt. So jedenfalls stellt es sich in einer Schaufenster-Ausstellung von Esther Schaefer dar, die derzeit am Buntentorsteinweg 262, an der Haltestelle der Straßenbahnlinie 1 (stadteinwärts), an die Zeit der Hausbesetzung vom 6. Mai 1987 bis 13. Sept. 1994 erinnern soll.
In memoriam sind dort all jene Begriffe über einen fensterfüllenden, weißen Karton verteilt, die die ehemaligen BewohnerInnen des besetzten Hauses mit ihrem Leben dort assoziieren. In unterschiedlichen Schriftgrößen, aus denen zwei Worte als dicke Balken in Fettdruck hervorstechen: Geräumt, abgerissen. Das Ende des Projekts.
Vorne an der Schaufensterscheibe entdeckt man mit einiger Anstrengung noch vier kleine Dia“guckis“. Wenn man die Nase am Glas plattdrückt, sieht man darin Szenen aus dem Alltag der HausbesetzerInnen. Spielende Kinder, Kunstaktionen, den Hinterhof. Ein Idyll, das untermalt wird von abgewetzten Gebrauchsgegenständen, welche die AusstellerInnen im Vordergrund der Auslage drapiert haben: zerbrochenes Geschirr, Schwamm, Feuerzeug, Wäscheklammern, Pfirsichkerne und – wie eine Beschwörung des Gemeinschaftsgeistes im Symbol der Großküche – eine verbogene, überdimensionierte Schaumkelle.
Die unspektakuläre Installation wirkt mit ihrer Verspieltheit auf die meisten der an der Haltestelle wartenden Passanten eher belustigend (sofern sie überhaupt Notiz davon nehmen). Einige fühlen sich aber auch zu einem Gespräch animiert. Und für diejenigen, die die mangelnde Verständlichkeit des Ganzen zunächst mit einem Kopfschütteln quittieren, enthüllt sich vielleicht nach mehrmaligem Hinsehen die symbolische Funktion des Schaufensters als Grabstätte der Erinnerung. Die Installation hat nämlich alles, was sonst eine südländische Totengruft auszeichnet: Mit sakraler Inschrift, kleinen Fotobildchen des „Verblichenen“ und ritualisierten Grabbeigaben wird hier ein geliebtes Projekt zu Grabe getragen.
Moritz Wecker
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