: Schlag ins Gesicht
■ betr.: Haushaltskürzungen der Fachhochschul-Etats in Hessen
Die letzten Kürzungen des Haushaltes um 20 Prozent am 21.3.95 der rot-grünen Landesregierung Hessens stellt die hessischen Fachhochschulen vor (fast) unüberwindbare finanzielle Schranken. Für die Fachhochschule Geisenheim, Außenstandort der Fachhochschule Wiesbaden, mit den Ingenieurstudiengängen Gartenbau und Landespflege und Weinbau und Getränketechnologie bedeutet das enorme Probleme in dem Erhalt der Qualität der Lehre. Neben dem Einstellungsstopp für freie Professorenstellen und den Streichungen der daraus restultierenden Lehrmittel erschwert nun auch die nachträgliche Kürzung des laufenden Haushaltes 1995/96 die optimale Ausbildung der Studierenden. Kurzfristig bedeutet das: Praktika können nicht angeboten werden oder müssen über Gebühren von den Studenten selbst getragen werden, Ausfallen verschiedener Vorlesungen, Fernbleiben von nun nicht mehr bezahlbaren Fachleuten für spezielle Vorlesungen schon im kommenden Wintersemester...
Die internationale Konkurrenzfähigkeit der FH Geisenheim, übrigens einzige Fachhochschule für den Ingenieursgang Weinbau und Önologie in der BRD, wird katastrophal erschwert. So ist ein geplantes getränketechnologisches Zentrum durch die Streichung der finanziellen Mittel in Frage gestellt, da der Raum für großtechnische Geräte, die von der Industrie zur Verfügung gestellt würden, mit den verbleibenden wenigen Mitteln voraussichtlich nicht hergerichtet werden kann.
Ist das die von der Regierung versprochene Unterstützung innovativer Studiengänge? Danke! Corina Franz, Studentin
der Getränketechnologie FH
Wiesbaden/Geisenheim
Auch wenn es in der Koalitionserklärung des rot-grünen Bündnisses heißt, daß die Situation an hessischen Hochschulen verbessert werden soll, und die Hochschulstruktur-Kommission zu der Erkenntnis gelangt, daß, allein um den Standard des deutschen Mittels zu erreichen, Investitionen in Höhe von 1,37 Millionen DM nötig wären, nimmt diese unsere Landesregierung nun Sparmaßnahmen in Angriff, die genau die falschen Stellen treffen, nämlich die Hochschulen. Hieß es vor nicht allzu langer Zeit noch, daß gerade „innovative und ökologische“ Studiengänge besonders förderungswürdig seien, so bekommt man nun von seiten der Grünen mitgeteilt: „Zuerst informieren, dann lamentieren.“ Damit nicht der Eindruck entsteht, daß Studenten und Professoren schlichtweg nur lamentieren wollen, hier die Beschlüsse der Landesregierung, die erst am 21. 3. – nachdem der Haushalt der Hochschulen bereits verabschiedet war – bekanntgemacht wurden:
– Kürzung des Haushalts um 20 Prozent,
– Einstellungsstopp für nichtbesetzte Professorenstellen und landesweiter Abbau von mindestens 86 Professorenstellen,
– Streichung der Mittel für Lehrbeauftragte und Sperrung der Lehrmittel.
Bezeichnenderweise trat die bisherige Ministerin für Erziehung und Kunst genau zu dem Zeitpunkt zurück, da sie eine solche Entscheidung nicht mit verantworten wollte. [...] Monika Genser, Studentin der
Landespflege, Geisenheim
In den Koalitionsvereinbarungen hieß es noch, Förderung der Lehre, insbesondere der innovativen und ökologisch orientierten Studiengänge. Was für eine dreiste Lüge.
[...] Jetzt kommt die Kürzung, die nur als Schlag ins Gesicht empfunden werden kann, als eine Frechheit. Noch mehr Stunden müssen ausfallen, u.a. wichtige Praktika, Studenten müssen Praktika selber bezahlen, Bücher kaufen, Lehrmittel kaufen, das sind indirekte Studiengebühren! Dafür muß man arbeiten gehen, dann verlängert sich aber das Studium, und man bekommt das Bafög gestrichen. Sollen denn in ein paar Jahren nur noch die Reichen studieren können? Kann das das Ziel einer sozialen Partei sein? Kann es das Ziel einer grünen Partei sein, besonders ökologische Studiengänge wie in Geisenheim an ihrer Entwicklung zu hindern? [...] Beate Heyder, Geisenheim
[...] Wenn das Parlament in der folgenden Woche den Beschlüssen der Landesregierung zustimmt, bedeutet das einen ganz herben Qualitätsverlust für die Ausbildung und damit für das intellektuelle Kapital Hessens. An eine Innovation, auch bezüglich der Schaffung von Vertiefungsrichtungen „Umweltschutz“ in allen Fachbereichen (ob jetzt BWL oder Verfahrenstechnik), ist unter diesen Umständen überhaupt nicht zu denken. Wenn die hessische Regierung die von ihr so oft beschworene „Ökologisierung“ der Wirtschaft erreichen will, sind Einsparungen im Bildungsbereich bestimmt der falscheste Weg! Dorothea Warmbold,
Geisenheim
Nach einem rot-grünen Koalitionsbeschluß kommt es voraussichtlich im nachhinein zu einer drastischen Kürzung des hessischen Bildungsetats. Die Auswirkungen werden schon zum Wintersemester 95 hessische Hochschulen ins Bildungsnirwana der bundesdeutschen Hochschullandschaft eingehen lassen. Geisenheim als Fachhochschule ist hart getroffen.
Zu den derzeitigen indirekten Studiengebühren aufgrund der Lehrmittelbeschaffung kommen dann direkte Kosten für die wegfallende Finanzierung von Praktika, Exkursionen usw. hinzu. Alternativ beziehungsweise zusätzlich kommt es zu einem weiteren Verfall des ohnehin schon dürftigen Lehrangebots.
Schlachten wir das goldene Kalb dieses Landes, nieder mit der Bildung! Leider habe ich Rot- Grün gewählt! Leider studiere ich in Geisenheim! Frank Lüske, Geisenheim
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