Spaniens „Ära Felipe“ neigt sich dem Ende zu

■ Nach 13 Jahren an der Regierung müssen Spaniens Sozialisten fürchten, bald in der Opposition zu sein / Bei Regional- und Kommunalwahlen Ende des Monats wird mit einem Sieg der Konservativen gerechnet

Madrid (taz) – Spaniens Regierungschef Felipe González und seine sozialistische PSOE sind angeschlagen. Nach 13 Jahren Amtszeit, inzwischen deutlich gezeichnet von der nicht enden wollenden Kette von Skandalen, kämpfen die Hoffnungsträger von einst gegen immer neue Enthüllungen der Ermittlungsrichter. Der Ruf nach Rücktritt und sofortigen Neuwahlen wird immer lauter, und eines scheint gewiß: Wenn González diese Amtszeit überhaupt heil übersteht, wird er spätestens 1997 den Regierungspalast für José Maria Aznar räumen müssen, den Führer der rechten Oppositionspartei Partido Popular (PP). Einen ersten Eindruck vom Machtverlust werden die Sozialisten voraussichtlich schon Ende dieses Monats bekommen. Dann finden in Spanien Regional- und Kommunalwahlen statt. Allgemein wird mit einem Triumph der Konservativen gerechnet.

Dabei hatte alles so gut angefangen. Rote Fahnen schwenkend und die Internationale auf den Lippen, feierten Tausende in den Straßen Madrids in der Nacht des 18. Oktober 1982 den Wahlsieg der Sozialisten. Die Hoffnungen der 10 Millionen González-Wähler auf einen sozialen und politischen Wandel in Spanien waren unübersehbar. Die Verlierer des Bürgerkrieges, der dem Generalissimo Franco für 40 Jahre an die Macht verholfen hatte, hatten endlich gesiegt. Der Übergang von der Diktatur zur konstitutionellen Monarchie war sieben Jahre nach dem Tod des Tyrannen abgeschlossen.

Die neue Etappe, so hatte es sich die Mannschaft um González auf die Fahne geschrieben, sollte die „Modernisierung Spaniens“ bringen: Mit dem Versprechen von 800.000 neuen Arbeitsplätzen, der Integration Spaniens in Europa und dem Slogan „Nein zur Nato“ waren die Sozialisten in den Wahlkampf gezogen, jetzt konnte González ans Werk gehen. Die Integration in den Club der Ausgewählten Europas hatte ihren Preis: Industriezweige wie die Werft- und die Stahlindustrie wurden geschlossen, in der Folge verarmten ganze Regionen. Die Stimmung der Gewerkschaften schlug um: erst in Kritik, dann in Widerstand. Drei Generalstreiks gegen die Regierung im Zeitraum von nur sieben Jahren, 1988, 1992 und 1995 – das war europäischer Rekord. Und die, die auf die Straße gingen, gehörten zum erheblichen Teil zur enttäuschten Basis der Sozialisten.

Breite Teile der Linken verfielen in Resignation

Auch vom „Nein zur Nato“ blieb nicht viel: 1984 beschloß die Regierungsmehrheit im Parlament den Beitritt. Als „Preis für die EG- Integration“ verkaufte man die Entscheidung, die zu einer mehrjährigen Auseinandersetzung mit der Friedensbewegung führte. Die Volksabstimmung zur Nato 1986 ging knapp zugunsten der Regierung aus, breite Teile der Linken verfielen in Resignation.

So ist es mit den radikalen Veränderungen nichts geworden – die Liste der Reformen, die die Regierung auf den Weg gebracht hat, läßt sich dennoch sehen: Schwangerschaftsabbruch, Religionsfreiheit, Scheidungsgesetz und teilweise Anerkennung von homosexuellen Paaren lassen den Vatikan in Erinnerungen an Zeiten schwelgen, als Franco und Papst Pius XII. 1953 das Konkordat unterzeichneten. Spanien war bis zum Tod des Diktators „römisch-katholisch“ und selbstverständlich „einheitlich und groß“.

Mit der Einheit ist es nicht mehr soweit her. 13 Jahre PSOE waren 13 Jahre Ausbau der Autonomiestatuten für die Basken, Katalanen und Galicier. Die PSOE ist die einzige staatenweite Partei, die nicht an den Sonderstellungen der autonomen Regionen rührt – ein Thema, daß die konservativen Katalonen und Basken von der Partido Popular trennt: Die PP steht ihnen zwar ideologisch näher, ist aber durch und durch zentralistisch. So sichern die Baskische Nationalistische Partei (PNV) und die katalanische Convergència i Unió (CiU) im Madrider Parlament die Minderheitsregierung der Sozialisten.

Die Rechte braucht die verhaßten Nationalisten

Die Opposition der PP mit ihrem Spitzenkandidaten José Maria Aznar hat es nicht geschafft, diese Regierung ernsthaft ins Wanken zu bringen. Trotz monatelanger, teilweise hysterischer Berichterstattung über die Korruptionsskandale der Sozialisten steht ein Drittel der Wählerschaft fest hinter González. Die Linke, so man die PSOE noch so nennen mag, blickt zusammen mit der kommunistischen „Vereinigten Linken“ (IU) auf 45 Prozent gegenüber den 38 Prozent der PP. So ist auch Aznar auf die Unterstützung der verhaßten Nationalisten angewiesen.

„Die zwei Spanien“, übriggeblieben aus vier Jahrzehnten Diktatur, sind weiterhin spürbar. Auf die Korruption angesprochen, antwortet der typische sozialistische Wähler: „Das war hier schon immer so“ – und um die Sozialisten zu verteidigen: „Die Rechte hat sich noch viel mehr bedient.“

Vor allem hat Spaniens Bevölkerung trotz aller Mängel in der „Ära Felipe“ erstmals die Vorteile des Sozialstaates und der gesellschaftlichen Mobilität erlebt, wenn auch auf einem sehr bescheidenen Niveau: Sozialhilfe, Mindestlohn für die Tagelöhner in Andalusien und Arbeitslosenunterstützung waren vor 1982 Fremdwörter. Und die Söhne derer, die sich noch Ende der sechziger Jahren mit ihrem Esel von Touristen auf dem Markt fotografieren ließen, fahren heute mit dem Auto an die Universität.

Die PSOE-Spitze weiß, wie tief die Ängste vor der Rechten sitzen. Immer wenn es eng wird, zaubert man klassenkämpferische Aznar- Franco-Vergleiche aus der Trickkiste. Und wie um dies zu bestätigen, feierte auch noch die Parteijugend der PP nach den Europawahlen im vergangenen Jahr den Sieg Aznars auf ihre Art. Mit kurzgeschorenen Haaren fuhr sie bis früh morgens immer wieder in Papas Edelkarosse vor der PSOE-Zentrale auf und ab. Aus dem Fenster wehte die Spanienfahne mit Franco-Adler. Die Sozialisten hielten die geballte Faust dagegen. Ein gespenstischer Kampf der Symbole. Die Gräben durch Spaniens Bevölkerung sind noch immer tief. Reiner Wandler