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Es reicht nicht, Blumen auf ein Grab zu legen

Die Polin Grazyna Pawlak will in Warschau ein Museum der Geschichte der Juden in Polen errichten, das nicht vom Tod, sondern vom Leben der Juden erzählt / Diese Idee will auch Bundespräsident Roman Herzog fördern  ■ Von Reinhold Vetter

Grazyna Pawlak weiß, wie man Kontakte organisiert, wichtige Leute für bestimmte Themen interessiert, Öffentlichkeit herstellt. Auf den Empfängen Warschauer Diplomaten ist die Direktorin des Jüdischen Historischen Instituts ein häufig gesehener Gast. Mehrmals war sie in letzter Zeit in Deutschland, in Israel und in den USA. Zu ihren Gesprächspartnern gehören Elie Wiesel und Ignatz Bubis, die Präsidenten Israels und Deutschlands, Chaim Herzog und Roman Herzog. Grazyna Pawlak hat es sich in den Kopf gesetzt, in Warschau ein Museum der Geschichte der polnischen Juden einzurichten. Und die Hartnäckigkeit, mit der sie dieses Ziel verfolgt, deutet darauf hin, daß dies ihr Lebenswerk werden könnte.

Aber, so die naheliegende Frage, warum ein solches Museum, wo es doch das Jüdische Historische Institut in Warschau bereits gibt? Denn diese Einrichtung ist eine Schatzkammer. Allein die Institutsbibliothek umfaßt etwa 60.000 Bände in Hebräisch und Jiddisch sowie in verschiedenen europäischen Sprachen. Im Institutsmuseum finden sich mehr als 9.000 Exponate, darunter Malereien, Graphiken und Plastiken der wichtigsten jüdisch-polnischen Künstler, auch Kultgegenstände und Andenken. Zur Abteilung Dokumentation gehört insbesondere das von Emanuel Ringelblum begründete Geheimarchiv des Warschauer Ghettos.

Aber obwohl seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewaltige Arbeit leisten, durch Forschungen, Publikationen, Fortbildungskurse für Geschichtslehrer und – wie zur Vorbereitung des 50. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz – Beratung und Organisation, ist dieses Institut noch kein wirkliches Museum.

Doch die 46jährige Grazyna Pawlak verfolgt mit dem Museum noch ein anderes Ziel: „Hier soll kein weiteres Denkmal für den Holocaust, keine weitere Sammlung von Judaika entstehen. Vielmehr wollen wir das polnisch-jüdische Zusammenleben in all seiner Vielseitigkeit und Kompliziertheit zeigen, seine guten und seine schmerzhaften Seiten.“

Es geht also um die Identität der polnischen Juden, deren Entwicklung und Wandel sich gerade auch aus dem Verhalten der jeweiligen Umwelt ergaben. Es geht um die Geschichte der polnisch-jüdischen und christlich-jüdischen Beziehungen sowie um die Haltung der Juden zum Kommunismus und Stalinismus. „Ich glaube nicht, daß es ausreicht, Blumen auf ein Grab zu legen. Man muß die Erinnerung an die Aktivität der Ermordeten bewahren, etwas tun, womit diese Menschen einverstanden gewesen wären, worauf sie hätten stolz sein können.“ Außerdem: „Man darf die Juden, gerade in Polen, nicht nur als Tote zeigen. Ausstellungen, die nur dem Martyrium gewidmet sind, bergen Gefahren, weil die Menschen in der Regel vor dem Tod fliehen. Es entstehen dadurch Stereotypen, etwa der Art, daß alle Juden tatsächlich tot seien.“

Erfahrungen in der eigenen Familie, auch Erfahrungen mit den polnischen Mitmenschen und mit Juden in anderen Ländern sowie deren Reaktionen auf die Situation in Polen haben Grazyna Pawlak schließlich auf den Gedanken gebracht, ein derartiges Museum einzurichten. Ihr Vater, Katholik und polnischer Partriot, erzählte ihr von der Rolle der Juden in der polnischen Geschichte. Die Eltern ihrer jüdischen Mutter wurden in Treblinka ermordert. Nicht nur einmal hat sie Erfahrungen mit dem polnischen Antisemitismus oder mit polnischen Stereotypen über die Juden gemacht. Auf ihren Briefkasten wurde „Jude raus!“ geschmiert, sie erlebte, wie zehnjährige Jungen in einem Autobus auf einen Schwarzen mit dem Finger zeigten und „Jude, Jude!“ kreischten. In den USA wurde sie von Juden gefragt, wie sie in einem Land wie Polen leben könne. Gerade daher sind viele US-amerikanische Juden auch gegen das Museumsprojekt.

Tatsächlich aber wurde die polnisch-jüdische Geschichte eben nicht nur durch den Antisemitismus, durch die Tragik des Holocaust und die antijüdischen Pogrome nach dem Zweiten Weltkrieg sowie die antisemitische Kampagne 1968 bestimmt. Über Jahrhunderte hinweg war Polen die wichtigste Heimstatt des Ostjudentums, auch wenn Polen und Juden in der Regel nebeneinander her lebten.

Etwa 60 Millionen Dollar soll das Museum kosten

Wer den gewaltigen Beitrag der Juden zur polnischen Kulturgeschichte studieren will, braucht nur einmal die Inschriften auf den Grabsteinen des großen jüdischen Friedhofs in Warschau zu lesen. Wissenschaftler, Juristen, Mediziner und Künstler haben hier ihre letzte Ruhe gefunden. Zu ihnen zählt – um nur einen zu nennen – Ludwik Zamenhof, der Erfinder des Esperanto.

Grazyna Pawlak und ihre Mitstreiter veranschlagen die Kosten zur Eröffnung des Museums auf etwa 60 Millionen Dollar. Zur Zeit sind sie damit beschäftigt, 150.000 Dollar, mit denen ein Architektenwettbewerb finanziert werden soll, zusammenzubekommen. Auch einen Platz für das Museum hat die Warschauer Stadtverwaltung im Auftrag von Stadtpräsident Marcin Swiecicki schon festgelegt: direkt neben dem Denkmal für die Helden des Aufstands im Ghetto, an dem Ort also, wo Willy Brandt im Dezember 1970 niederkniete. Hauptsächliche Finanzierungsmethode soll das Found-Raising sein, die Gewinnung von Stiftern, Sponsoren und Spendern in möglichst vielen Ländern der Welt. Grazyna Pawlak: „Das dürfte eines der ersten nichtstaatlich finanzierten Museen in den postkommunistischen Ländern sein.“

Ein Museum des Lebens, nicht der Vergangenheit

Inzwischen sind Fördergemeinschaften in den USA, Frankreich, England und Deutschland entstanden. An der Spitze des „Internationalen Ehrenkomitees“ steht der israelische Präsident Chaim Herzog. Szajke Weinberg, Schöpfer des Diaspora-Museums in Tel Aviv und des Holocaust-Museums in Washington, ist an der Ausarbeitung des Museumskonzepts beteiligt. Führende polnische Politiker wie Premier Jozef Oleksy haben ihre Unterstützung zugesagt.

In Deutschland hat Roman Herzog die Schirmherrschaft für einen Förderverein übernommen, den Wissenschaftler, Politiker und Leute aus der Wirtschaft in diesem Februar gründeten. Es gehe, so Herzog, um „ein Museum des Lebens, nicht ein Museum einer vergangenen Welt“.

Grazyna Pawlak ist der Ansicht, daß der deutsche Beitrag zur Realisierung dieses Projekts groß sein sollte: „Und zwar nicht nur wegen der Tragödie in der Vergangenheit, sondern auch weil deutsche Juden, die im späten Mittelalter und danach als Handwerker und Kaufleute nach Polen kamen, einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung der deutsch-polnischen Beziehungen geleistet haben.“

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