: Tonal ist gut, atonal böse – was sonst?
■ Uraufführung der Kinderoper „Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch“ von C. René Hirschfeld nach Michael Ende im carrousel Theater
Der Traum vom Zaubertrank, der den Menschen übernatürliche Kräfte verleiht, sie jung und schön werden läßt, ist uralt. Doch alle Tränke der Welt sind nichts gegen den „satanarchäolügenialkohöllischen Wunschpunsch“. Denn der erfüllt alle Wünsche sofort – allerdings nur, wenn man das Gegenteil von dem ausspricht, was man gerne möchte.
Dieses Erfolgsgeheimnis stammte von Kinderbuchautor Michael Ende, und der wieder hat von dem Punsch getrunken oder aber ein anderes Rezept, denn der Erfolg seiner Bücher ist grandios. Denn wer kennt nicht den Sog, der von den gewaltigen Bildern der „Unendlichen Geschichte“ ausgeht, oder hat sich noch nicht, quer über dem Bett liegend und besinnungslos gegen Welt und Abwasch, vor den grauen Herren gefürchtet?
Die etwas unbekanntere Geschichte vom Wunschpunsch und der Unterwelt hat der Komponist C. René Hischfeld als Vorlage für eine Kinderoper genommen, die von der Berliner Kammeroper in Zusammenarbeit mit dem carrousel-Theater am Mittwoch uraufgeführt wurde. Das Thema ist verlockend: Auf der Seite der finsteren Mächte stehen der Zauberer Irrwitzer und seine fiese Tante Tyrannia. Beide haben ihr Jahressoll an schlechten Taten noch nicht erfüllt, doch es ist bereits Silvesternacht und der höllische Gerichtsvollzieher droht.
Zum Glück für die beiden – und zum Ungemach der Welt – gibt es aber jenen unaussprechlichen Wunschpunsch, mit dem sie kurzerhand vergiftete Flüsse, Atomkraftwerke, Pest und Cholera auf die Welt hexen können. Alles kein Problem, wenn da nicht die Tiere wären, der Rabe Jakob Krakel und der Kater Maurizio di Mauro, die das Höllenwerk verhindern sollen. Die Zeit läuft.
Die Geschichte hat einen atemberaubenden Plot: Wie in einem Thriller gibt es die Guten und die Bösen, ein Ultimatum und allerhand Hindernisse. Doch gerade, weil die Geschichte von dem Zauberer und der Hexe die Phantasie so sehr anheizt, gerade weil sie innere Bilder heraufbeschwört, ist sie so schwer in szenische Bilder zu übersetzen, und damit hat auch die Kammeroper so ihre Schwierigkeiten. Das Bühnenbild, ein Walskelett mit eingebauten Fernsehern, ist hübsch, wenn auch ein wenig plakativ.
Die Geldhexe Tyrannia ist in der Inszenierung von Henry Akina ein dickes Scheusal, der Zauberer Irrwitzer ein geschmacklos gekleideter Trottel, so überzeichnet, daß man sich vor ihm bestimmt nicht gruseln muß. Nur der Rabe ist tierisch auf Zack: mit seinen Fliegerklamotten und dem zerfledderten Regenschirm die einzig witzige Figur. Außerdem kann er für einen Raben sagenhaft hübsch singen (Tenor Clemens Löschmann). Und das ist wichtig, denn gesungen wird viel.
Viel zuviel. Zwar sind die Texte für Operngesang erstaunlich gut zu verstehen, trotzdem wäre es für das Timing oft wünschenswert gewesen, einfach mal kurz zu sagen, um was es geht, und nicht alles durch langatmige Arien hindurchzuquälen. Überhaupt schafft die Musik wenig Atmosphäre, dafür aber haarsträubende Zuordnungen. Der liebe Kater hat die süßliche Schnulzenmusik, der altmodische Gerichtsvollzieher das altmodische Rezitativ über Orgelpunkt. Und beim Auftritt des Zauberneffen und der Hexentante gibt es jenes musikalische Gequaddel, das finstere Ahnungen bestätigt: Tonal ist gut und atonal ist böse. Haben wir es nicht schon immer gewußt?
Der Wunschpunsch ist in der Inszenierung der Kammeroper ein höllisch moralinsaures Gebräu. Doch seltsam: den Kindern im Theater hat es wohl gefallen. Das muß an Michael Ende liegen. Christine Hohmeyer
Bis 9. 5., 18 Uhr, Berliner Kammeroper im carrousel Theater, Hans-Rodenberg-Platz, Lichtenberg, Wiederaufnahme am 25. 11.
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