■ Normalzeit: Pornotopien
Stupide brilliert die Berliner Presse immer wieder mit ganzen Serien über Prostitution. Darin kommen natürlich auch all die hierher verschleppten ahnungslosen Ostblock-Mädels vor. Und geradezu lustvoll wird ausgebreitet und oft detailliert ausgemalt, wie sie dann brutal von mehreren Zuhältern erst mal vergewaltigt werden, bevor sie für diese anschaffen gehen müssen: „Zureiten, im Milieu genannt“ – dieser Terminus technicus hat es den Hauptstadt-Journalisten besonders angetan, vielleicht weil es sie vage an ihre eigene jüngste „Zurichtung“ – durch die neuen West-Chefredakteure – erinnert. Ich will nicht darüber streiten, ob es solche zuhälterischen „Gang- Bangs“ wirklich gibt, und wenn ja, wie häufig sie sind.
Das erste Mal erfuhr ich davon in der zweiten Biographie des „Deep Throat“-Pornostars Linda Lovelace. Ihre erste Biographie war eine schmierige Ghostwriter- Story, meinte sie, die zweite dagegen authentisch, quasi selbstverfaßt: Sie wurde von ihrem Freund und Manager zur Prostitution gezwungen, und den Anfang machten sechs Freier – alle auf einmal. Diese Stelle in dem Buch war pornographisch, ob sie es nun wollte oder nicht.
Das zweite Mal las ich über „Gang-Bangs“ in einem Artikel des New Yorker von Joan Didion: Er handelte von der Krise der kalifornischen Luftfahrtindustrie, die sich in Lakewood zum Beispiel so ausgewirkt hat, daß die eigentlich ihren hochbezahlten Facharbeiter-Vätern zu McDonnell Douglas nachfolgenden Söhne – jetzt ohne Perspektive – angefangen haben, in Gruppen abends Mädchen zu vergewaltigen. Die Eltern geben den Medien dafür die Schuld.
Die Medien wiederum: Die letzten „Hitler“-Ausgaben des Spiegel und das Spiegel-Special über 1945 waren voll von Vergewaltigungen von deutschen, besiegten Frauen, verübt von Soldaten der sowjetischen Roten Armee, in jedem Artikel kommen sie vor. Auch anderswo vergißt kaum ein Autor, der derzeit über die „Befreiung“ schreibt, die Vergewaltigungen durch die Russen. Nicht selten verbunden mit dem Hinweis, damit „eine Mauer des Schweigens zu durchbrechen“. (Jürgen Manthey schlägt jetzt vor, daß männliche Victory-Zeichen feministisch zu interpretieren).
Gleichzeitig passiert derzeit eine merkwürdige Umdrehung: Tagelang berichtete die BZ, mit Empörung, über eine chinesisch- amerikanische Pornodarstellerin, die sich in New York in einer zwölfstündigen Performance von 100 (oder waren es 200?) Männern vögeln ließ.
Die Guiness-Buchredaktion ließ dazu sofort verlauten: Auf keinen Fall würden sie diese Sauerei in ihre Rekordliste aufnehmen. Das Video läuft bereits hier in den einschlägigen Kinos, wo es inzwischen zu einer Art Genre angeschwollen ist. [Wer guckt sich bloß so was an? Verklemmte Schweinskerlchen wahrscheinlich! d. säzzer]
Die Journalisten von Springer hatten anscheinend eine gute Trendwitterung, denn seitdem wird der Markt geradezu überschwemmt von „Gang-Bang-Pornos“, die man allerdings kaum noch so nennen kann, denn die eine Frau in der Mitte ist der Star – und die ganzen Männer, zwischen 5 und 50 an der Zahl, stehen um sie herum und warten, bis sie mit dem Reinstecken an der Reihe sind. Bis dahin halten sie sich onanistisch in Form, am Schluß spritzen sie ihr auf den Bauch, wo sich nach einer Weile kleine Samenseen bilden, und machen brav dem nächsten Mann Platz.
Je nach Konstitution und Charakter der Hauptdarstellerin hat der jeweilige Plot zwar mehr oder weniger den Anschein eines Männergruppen-Ficks, aber da diese sich in der Situations-Umdrehung augenscheinlich und als Statisten ziemlich blöd vorkommen, bestimmt die hochbezahlte Frau das Geschehen, die Handlung, die in mehreren Fällen in einem Boxring stattfindet, den sie hernach muskelspielend und in Siegerpose verläßt.
In einem „Fall“ mit der Bemerkung: „Ich muß jetzt erst mal eine Zigarette rauchen!“ – Was in einem amerikanischen Porno natürlich heutzutage nicht mehr gezeigt werden darf. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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