■ Apropos: Bildungsurlaub
Seit Anfang der siebziger Jahre haben einige – ausschließlich sozialdemokratisch regierte – Bundesländer die Qualifikationsdiskussionen, die ein Jahrzehnt zuvor unter dem Stichwort „Bildung tut not“ geführt wurden, in Bildungsurlaubsgesetze münden lassen. Die Idee: Unabhängig von den Jahresurlaubsleistungen sollten sich abhängig Beschäftigte während der Arbeitszeit weiterbilden dürfen.
Gekoppelt waren die Bildungsangebote nie an eine unmittelbare Verwertbarkeit des Lernstoffes am Arbeitsplatz; gedacht war vielmehr vor allem daran, daß Arbeitnehmer im Erwachsenenalter entgangene Bildungschancen nachholen.
Bis heute haben Berlin, Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen, das Saarland und neuerdings auch Rheinland-Pfalz Bildungsurlaubsgesetze verabschiedet. Anerkannt werden Kurse, die der beruflichen oder der staatsbürgerlichen Horizonterweiterung im weitesten Sinne dienen.
Nicht anerkannt würde beispielsweise ein Kurs unter dem Titel „Ikebana an und für sich“, dafür aber „Blumenstecken vor dem Hintergrund der Bürgerlichen Revolution 1789 unter besonderer Berücksichtigung der Notstandsgesetze von 1969“.
Arbeitswissenschaftler weisen darauf hin, daß ein Lernurlaub, der zu nichts anderem als zum Abschalten vom Alltag unter Einschluß von gemeinsamem Lernen verhilft, der Leistung am Arbeitsplatz bekömmlich ist. Dennoch versuchen Arbeitgeberverbände seit Etablierung der Bildungsurlaubsgesetze, ihre Beschäftigten von der Wahrnehmung des Angebots abzuhalten. Arbeitnehmer haben das Recht, sich pro Kalenderjahr eine Arbeitswoche lang allgemein oder beruflich weiterzubilden. Doch nur ein Bruchteil der Arbeitnehmer – von 32 Millionen nur etwa zwei bis drei Prozent – nimmt an solchen Veranstaltungen teil. Repräsentative Umfragen gibt es keine; Stichproben haben ergeben: Viele Lohnabhängige befürchten berufliche Nachteile, wenn sie Bildungsurlaub in Anspruch nehmen. Bildungsurlaub hat keinen guten Ruf. Focus sieht darin ein „Lernen unter Palmen“.
Wichtig ist bei allen Kursen: Der Arbeitgeber muß in angemessener Frist – was dies bedeutet, haben die Arbeitsgerichte bis heute nicht klären können – über den Bildungsurlaub informiert werden. Er kann das Begehren nur ablehnen, wenn „betriebliche Erfordernisse“ einen Verbleib des Lohnabhängigen am Arbeitsplatz zwingend machen.
Nähere Auskunft geben die Schul-, Kultur- und Sozialministerien beziehungsweise -behörden der Länder. In den neuen Bundesländern gibt es bislang noch keine Bildungsurlaubsregelung. JaF
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen