: Dem Pudel auf der Spur
■ „Pudel-Overnight: Berlin“ – Eine Sendenacht mit Rocko Schamoni und Schorsch Kamerun (Sa., 1.25 Uhr, 3sat)
Vielleicht ist man in dieser Nacht selber unterwegs gewesen und hat sich gerade aus dem Nachtbus gequält, um nun zu Hause vorm Testbild noch einige besinnliche Minuten zu verbringen. Sollte man beim Teleflanieren zufällig bei 3sat gelandet sein, ist es vorbei mit dem Einschalten zum Abschalten: Dort geht es nämlich mit zwei verfrorenen Typen weiter, die ziellos durch Berlin streifen, bis daß der Morgen graut – am Fenster und im Fernsehen.
Der alternative Stadtrundgang mit Rocko Schamoni, der bekannt wurde durch trashige Schlagerparodien („Mandacino“) und Punkdinosaurier Schorsch Kamerun (Sänger der Goldenen Zitronen) wurde dokumentiert von Fritz Brinkmann, der seinerzeit als Foto- und Videograf, die Einstürzenden Neubauten begleitete. In der Nachfolge des Dandytums haben sie den Pudel zu ihrem Markenzeichen gemacht – das Modetier eines Lebensstils, der inzwischen ganz schön auf den Hund gekommen ist. Ihr Weg führt die beiden Flaneure durch Clubs und Imbißbuden, in die Charité und weiter und weiter. Zwei Hamburger in Berlin, die die Sensationen des Alltags aufspüren und ihre Umgebung mit Worten zerlegen. Besonderes Highlight: das Gespräch mit einer Meute Girlies, die das Hotel belagern, in dem Take That abgestiegen sind. Sie grölen die Lieder ihrer Idole und philosophieren über den knackigen Hintern von Howard – da möchte man doch lieber nicht Teil einer Jugendbewegung sein.
In akrobatisch anmutenden Phrasenverdrehungen entrüsten sich die beiden Anti-Entertainer über die protzige Mercedes-Ausstellung neben Baugruben und verfallenen Wohnhäusern: „Das ist die neue Akne vulgaris im Gesicht einer alternden Diva“ oder besser „die grazile Made in einem von großer Schönheit geprägten Speck“. Darauf Rocko: „Mir persönlich klingt das wie Silber in den Ohren.“ Genau.
Besonders nett wird es immer dann, wenn die beiden die mediale Inszenierung unterlaufen, die vorgibt, ungefiltert zu zeigen, was sich heute nacht ereignet: Wenn sie an einer Baugrube Echo mit dem Kameramann spielen oder ständig bemerken, wie ungewöhnlich warm es doch im Mai schon ist, während ihr Atem in der Märzluft kondensiert. Die sechseinhalbstündige Sendung wurde von der 3sat-Programmwerkstatt Quantum konzipiert, die auch das Musikmagazin „Lost in Music“ entwickelte. Der Nachtausflug durch Berlin ist eine Pilotsendung, weitere Trips in Städte Deutschlands, Österreichs und der Schweiz sollen folgen.
Anscheinend hat man beim Fernsehen gemerkt, daß nicht alle Menschen um die gleiche Zeit schlafen gehen. Zum Sendeschluß erreichen Endlosschleifen wie die Strandbilder bei Vox und die Space-Lab-Innenansichten des Bayerischen Rundfunks mehr ZuschauerInnen als manche Sendung zur besten Tageszeit. Quantum nutzte die nächtliche Lücke, um den Lebensgewohnheiten jüngerer ZuschauerInnen näherzukommen. Die erste von ihnen gestaltete Sendenacht bietet nicht die Kopie des wirklichen, auch langweiligen Lebens an, sondern eine parallele Performance, die Spaß macht. Sabine Holtgreve
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen