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Helfen, weil es ganz einfach sein muß

■ Die Pfarrgemeinde St. Raphael bei Augsburg bleibt konsequent: Das Kirchenasyl für die verfolgte kurdische Familie Simsek wird trotz Morddrohungen fortgeführt

Augsburg (taz) – Bis auf den letzten Platz ist der Pfarrsaal der katholischen Gemeinde St. Raphael im Augsburger Vorort Steppach gefüllt. Ganz vorne sitzt eine junge, abgemagerte Frau mit ihren beiden Kindern. Es ist die 20jährige Kurdin Sahize Simsek. Ruhig und gefaßt dankt die Frau islamischen Glaubens der katholischen Gemeinde, daß sie hier Zuflucht gefunden hat. Seit vor wenigen Tagen ihre beiden drei und vier Jahre alten Kinder aus der Klinik entlassen wurden, droht ihr die Abschiebung in die Türkei. Dorthin, wo ihr Mann schwer gefoltert wurde. Ärzte haben Spuren schwerster Mißhandlungen bei Fariz Simsek (29) festgestellt, der vor drei Jahren mit seiner Familie nach Deutschland geflüchtet ist.

Fariz Simsek ist untergetaucht, um der drohenden Abschiebung zu entgehen. Amnesty international hat den Fall weltweit publik gemacht, der Anwalt des Kurden hat erneut das Bundesverfassungsgericht angerufen, das schon einmal in allerletzter Minute die Abschiebung verhindert hat.

Auch Frau Simsek sollte dieser Tage – mit ihren Kindern, aber ohne ihren Mann – des Landes verwiesen werden. Ein unmenschlicher Vorgang in den Augen der Pfarrgemeinderäte von Steppach. Ohne Wenn und Aber steht der Pfarrgemeinderat hinter dem Kirchenasyl, versichert Ulrich Hartmann, Mitglied der Kirchenverwaltung. Vier Jahre hat er Vietnamesen mitbetreut. Ein Erlebnis hat er niemals vergessen; eines, das ihn dazu bewogen hat, sofort für die Aufnahme von Frau Simsek zu stimmen. Damals sollte eine junge Vietnamesin ohne Wissen ihres Mannes auf rüde Weise abgeschoben werden. Seither steht für ihn fest: „Für mich geht menschliches Recht vor juristischem Recht.“

Es sind ungewohnte Töne, die aus dieser Gemeinde zu hören sind. Die Menschen hier haben sich entschlossen zu helfen. Keiner von ihnen kann verstehen, „daß der bayerische Innenminister Beckstein mit solch unglaublicher Härte gegen diese kurdische Familie vorgeht“. Mit brutaler Gewalt ist Anfang April ein Sonderkommando der Polizei in die Wohnung der Familie Simsek eingedrungen, um die Abschiebung durchzusetzen. Fariz Simsek war aber zu diesem Zeitpunkt bereits untergetaucht – aus Angst vor der zwangsweisen Rückkehr in die Türkei. Flüchtlingsorganisationen mahnen, der Kurde müsse dort mit Folter oder gar dem Tod rechnen. Er ist kein Mitglied der PKK, hat sich aber einmal als Sympathisant bezeichnet.

Rechtsanwalt Manfred Sack versichert an diesem Abend erneut: „Fariz Simsek war auch nicht bei den Autobahnkrawallen vergangenes Jahr in Augsburg dabei, wie immer wieder behauptet wird.“ Lediglich bei der Versammlung in der Innenstadt von Augsburg sei er gewesen. „Er ist auch nach wie vor nicht rechtskräftig verurteilt, ist also kein Straftäter.“ Gegen einen Strafbefehl wegen Landfriedensbruchs hat der Kurde Widerspruch eingelegt, verhandelt wurde darüber noch nicht.

Der SPD-Landtagsabgeordnete Harald Güller dankt der Gemeinde St. Raphael dafür, daß sie die Familie Simsek aufgenommen hat. Der Asylkompromiß, sagt er, habe eine ganze Reihe von Schwächen. Darüber müsse unbedingt noch einmal offen diskutiert werden. Daß es zu einer Räumung der Kirche im Auftrag von Innenminister Beckstein kommen wird, glaubt er nicht. Pfarrer Peter Brummer macht unmißverständlich deutlich, daß sich seine Pfarrei und er nicht einschüchtern lassen. Trotz der enormen Belastung, die mit dem Kirchenasyl verbunden ist, das bundesweit Reaktionen hervorgerufen hat. „Das reicht von der Heiligsprechung bis hin zu Morddrohungen: Wir schlagen dir den Schädel ein. Du unterstützt Türkenschweine, bist also selbst ein Türkenschwein“, mußte er sich sagen lassen. Auch die Pfarramtssekretärin wurde einige Male übel beschimpft. Trotzdem überwiegen die positiven Anrufe. Pfarrer Brummer berichtet von einer Rentnerin, die unbedingt finanzielle Unterstützung leisten will, erzählt von einem Sechzehnjährigen aus Rheinland-Pfalz, der ebenfalls seine Hilfe angeboten hat.

Pfarrer und Pfarrgemeinderäte wissen, daß für ein sogenanntes Kirchenasyl die Rechtsgrundlage fehlt, aber sie sind überzeugt davon, trotzdem nicht unrechtmäßig zu handeln. „Wenn ich das Grundgesetz anschaue, bin ich im Recht. Wenn ich die Bibel anschaue, bin ich ebenfalls im Recht“, sagt der Geistliche unter dem starken Beifall der Gemeindemitglieder.

Etwas Zuversicht hat die verschreckte und verängstigte junge Frau ganz vorne im Pfarrsaal inzwischen geschöpft. Die Zustimmung dieser Gemeinde läßt sie wieder ein wenig hoffen. Ihren Mann, der in der Türkei lange Zeit im Gefängnis saß, wird sie jedoch so schnell nicht wiedersehen. Doch ihren Kindern sagt sie, daß irgendwann einmal alles wieder gut werden wird. Klaus Wittmann

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