: Himmel und Hölle unter der goldenen Kuppel
■ Die restaurierte Neue Synagoge in Berlin ist kein harmonisches Ganzes, sondern eine Collage aus Fragmenten der Geschichte des einstigen jüdischen Gotteshauses
„Tuet auf die Pforten ...“ Wenn morgen die Neue Synagoge Berlin wieder ihre Tore öffnet, empfängt den Besucher kein harmonisches Ganzes, sondern eine Collage aus Fragmenten der Geschichte des einstigen Gotteshauses. Auf der Vorderseite an der Oranienburger Straße entführt die bereits 1992 fertiggestellte Ansicht wieder in die Märchenwelten von Scheherezades „Geschichten aus Tausendundeiner Nacht“. Zur Hofseite, dort wo einst der mächtige Synagogenraum stand, hat man die aufgerissene Rückwand des Saals als nackte Ruinenmauer belassen, um die gewaltsamen Brüche in der Geschichte des Hauses zu demonstrieren. Himmel und Hölle also.
1988, zu Beginn der Bauarbeiten, hatten Denkmalschützer und Bauherren noch eine Hinwendung zur Rekonstruktion der authentischen baukünstlerischen Formen gefordert. Erst 1991 schloß Heinz Galinski, damals Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, eine Rückkehr in die Hüllen des historischen Originals aus: „Wir streben keine Wiederherstellung der Neuen Synagoge an. Man kann die Vergangenheit nicht ungeschehen machen.“ Fragmente der Geschichte, Rekonstruktion und neue Bausubstanz müßten in ihren Funktionen und in ihrem Erleben die Erinnerung wachhalten, so Galinski. Darüber hinaus jedoch müsse man eine Neudefinition wagen.
Der „Collage Neue Synagoge“ sieht man ihre Aufbauphasen und den Diskurs um Rekonstruktion und Interpretation an: Die Eingangsfront (1988 bis 1992) unter der goldenen Kuppel mit dem Davidstern erscheint noch wie aus einem Guß. Daneben wachsen wie einst die goldgerippten Hauben aus metallenen Palmblättern hervor. Auch die bunten Klinker ersetzen die zerschossenen Bänder, die die drei Gebäudeteile zu einer morgenländischen Fata Morgana zusammenhalten. Und über dem Eingang leuchtet wieder in hebräischen Lettern: „Tuet auf die Pforten ...“ Ganz bewußt sollte die Ansicht der Neuen Synagoge an das märchenhafte Original anknüpfen. Denn der von Eduard Knoblauch und Friedrich August Stüler für die Jüdische Gemeinde Berlins geplante und zwischen 1859 und 1866 errichtete Kultbau erschien schon bei der Eröffnung manchem Betrachter als Phantasmagorie. Die Nationalzeitung schrieb: „Das neue Gotteshaus ist maurisch märchenhaftes Bauwerk, das uns in die phantastischen Wunder einer modernen Alhambra mit farbenreichen Arabesken in einen tausendfältigen Zauber einführt.“
Die Geschichte schlug brutale Wunden: 1938 verübten SA-Leute einen Brandanschlag, 1939 mußte der Gottesdienst eingestellt werden. 1940 beschlagnahmte die Wehrmacht das Gebäude, 1942/43 zerstörten Bomben zwei Kuppeln, den Haupttambour, das Dach und große Teile der Vor- und Hauptsynagoge, die einst 3.200 Menschen Platz bot. 1958 wurde der Hauptraum gesprengt, die Vorderfront des Gotteshauses und der Mitteltrakt blieben erhalten.
Erst 1988, aus Anlaß des Gedenkens an die Pogrome 50 Jahre davor, hatten die Pläne der Jüdischen Gemeinde für die Rekonstruktion des Vorder- und Mitteltraktes bei den SED-Oberen Erfolg. Die Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“ wurde gegründet, um die Neue Synagoge Berlin für gegenwärtige und zukünftige Generationen wieder aufzubauen und ein „Zentrum für die Pflege und Bewahrung der jüdischen Kultur“ zu errichten.
Im Gegensatz zur Vorderseite und als Zeichen der zweiten Phase der Wiederherstellung (1992 bis heute) zeigt sich die aufgerissene Rückwand als radikale Chiffre der Zerstörung, so Bauleiter Michael Stade. Dort, wo einst die Vorsynagoge in den Hauptraum überging, bildet nur noch eine Glas- und Stahlkonstruktion ein transparentes Schutzschild vor den Mauerresten. Auch der Wiederaufbau im Innern – der Eingangsbereich mit dem großen Repräsentantensaal im Obergeschoß, die Räume im Mitteltrakt und schließlich die einstige Vorsynagoge im Erdgeschoß sowie die doppelgeschossige Empore darüber – zeuge von der neuen, „leichteren Handschrift in der Interpretation der alten Bausubstanzen“, erklärt Stade.
Dennoch haben die Restauratoren keine Experimente gewagt. Die einstige Bemalung und der baukünstlerische Schmuck wurden nur dort, wo sie vorhanden waren, restauriert. Anstelle der Zerstörungen und Verwitterungen blieben helle Gipsfelder oder das Mauerwerk als Fragmente der Vergangenheit zurück. Der moderne Wiederaufbau des Mitteltraktes sowie der Ausbau der Vorsynagoge und der darüberliegenden Emporen zu einem dreigeschossigen Museumsbau mit Vortragssaal dient der neuen Funktion der Synagoge als Ausstellungsort.
Überwältigend bleibt dabei der Blick durch die großen, von Stahlrahmen gefaßten Fenster in den einstigen „Hauptraum“. Der ist heute ein mit Kiesel- und Mauersteinen ausgelegter Freiraum, auf dem die Umrisse und Säulenstümpfe des gesprengten Gebetsraumes nachgezeichnet sind. Das Ruinenfeld als Wächter des Alptraums gibt zugleich eine Ahnung von einer möglichen Zukunft, hofft Jerzy Kanal, Vorsitzender der Berliner Gemeinde. Denn sollte diese einmal wieder mehr Mitglieder haben und der kleine Synagogenraum im zweiten Obergeschoß des Mitteltraktes zu eng werden, läge hier der Raum und der Ort für den Neubau. Rolf Lautenschläger, Berlin
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