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Im trauten Kreis guter Menschen Von Ralf Sotscheck

„Ein Fremder ist ein Freund, dem man bisher noch nicht begegnet ist“, lautet ein irisches Sprichwort. Das gilt freilich nicht für alle Fremden. Diese schmerzliche Erfahrung mußten die jüdischen Flüchtlinge machen, die versuchten, dem Naziterror zu entkommen: Als die Zahl der Einreiseanträge ab 1938 immer mehr zunahmen, richtete die Dubliner Regierung einen Flüchtlingsausschuß ein. Der kümmerte sich jedoch lediglich um Konvertiten – „Christen mit jüdischem Blut“, wie es hieß. Die rigide Einwanderungspolitik wird oft mit der irische Neutralität erklärt, die darin gipfelte, daß sich der damalige irische Premierminister Eamon de Valera in die Kondolenzliste für Hitler eintrug.

Der wahre Grund kam nach dem Zweiten Weltkrieg ans Licht: Es war blanker Antisemitismus. Kurz nach Kriegsende schickte das Dubliner Justizministerium ein Memorandum an seine Beamten. „Die Einwanderung von Juden ist generell unerwünscht“, heißt es darin. „Der Reichtum und Einfluß der jüdischen Gemeinde in diesem Land scheint in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen zu haben, und es besteht die Gefahr des Widerstands, wenn sich diese Tendenz fortsetzt.“ Die Juden hatten es sich selbst zuzuschreiben, daß sie draußen bleiben mußten: Solche Flüchtlinge, so ließ das Justizministerium verlauten, „passen sich nicht unseren Leute an, sondern bilden eine Art Kolonie der weltweiten jüdischen Gemeinde. Deshalb sind sie ein potentielles Ärgernis für die Mehrheit, was von Zeit zu Zeit in anderen Ländern zu katastrophalen Ergebnissen geführt hat.“ Insgesamt nahm Irland nach Kriegsende gerade mal 925 jüdische Flüchtlinge auf. Nazis hatten es leichter. Nach dem Krieg lebte der britische Faschistenführer Oswald Mosley eine Weile in Galway an der Westküste, und auch der belgische Faschist Leon Degrelle wurde vom Justizminister nach Irland eingeladen.

Seitdem war der „Notstand“ – in Irland verniedlichte man den Nazikrieg zur „Emergency“ – kein Thema mehr. In einem Land, in dem Gedenktage ansonsten eine wichtige Rolle spielen, gab es erst jetzt, 50 Jahre nach Kriegsende, eine Gedenkfeier für die Opfer des Faschismus. Die winzige jüdische Gemeinde in Irland hatte man vorher allerdings nicht gefragt. Sie mußte ihre Teilnahme absagen, weil am 15. April, an dem die Feier ursprünglich stattfinden sollte, das Passahfest begann. Es stellte sich heraus, daß der Gedenktermin – der Jahrestag der Befreiung des KZ Bergen-Belsen – aus politischem Kalkül gewählt worden war: Die Dubliner Regierung hatte gehofft, den Unionistenführer Jim Molyneaux nach Dublin zu locken, weil er damals als britischer Soldat an der KZ-Befreiung beteiligt war. Auf Druck der Öffentlichkeit verschob man die Feier schließlich.

Jakob Venedey, eine Leitfigur der deutschen Linken im vergangenen Jahrhundert, hatte 1843 bessere Erfahrungen mit Irland gemacht: „Kommt nach Irland, ihr alle, die ihr ein gesundes Herz habt, das von den Schlägen des Geschickes wund wurd“, schrieb er begeistert, „kommt her, hier könnt ihr es pflegen und heilen. Und sanfte Frauen, keusch und rein genug, um nicht von dem Händedrucke des Mannes zurückzubeben, werden euch pflegen und euch helfen, vergangenes Unglück im trauten Kreis guter Menschen zu vergessen.“

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