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Nie wieder Deutschland Mathias Bröckers

„Deutschlands ganze Tugend und Schönheit“, schreibt Thomas Mann 1914, „zeigt sich im Kriege.“ Der „deutsche Militarismus“, so der Dichter, „ist in Wahrheit Form und Erscheinung der deutschen Moralität.“ Der Schriftsteller geißelt die „englische Humanitätsgleisnerei und französische Damennaivität“, die „allen Ernstes (glauben), daß Deutschland nur durch eine Niederlage zu revolutionieren, zu demokratisieren ist“, und konstatiert: „Nur Deutschlands Sieg verbürgt den Frieden Europas.“ Nachdem diese „Gedanken im Kriege“ 1914 in der Neuen Rundschau erschienen waren, brach Heinrich Mann den Kontakt zu seinem Bruder ab und nahm ihn erst wieder auf, als Thomas sich 1922 zur Weimarer Republik bekannte.

Liest man die emphatische Verklärung des deutschen Militarismus heute nach, ist der Krach zwischen den Brüdern verständlich: An teutonischem Schwulst ist Thomas Manns Aufsatz schwer zu überbieten. Der Meister hat ihn denn auch in keiner seiner Essaysammlungen aufgenommen, und im 2. Weltkrieg der Niederlage Deutschlands entgegengefiebert – auf daß es endlich entmilitarisiert und demokratisiert würde. Am 8. Mai 1945 war es dann so weit.

Daß die nationalistischen und antisemitischen Frühwerke Manns noch keinem Zitelmann oder anderen neunationalen Unterschriftsteller unter die Editorenfuchtel gekommen sind, ist eigentlich ein Wunder. Wo doch die Neoteutonen auf der Kulturschiene, abgesehen von 100 Jahren Jünger und ein paar Jährchen Benn, nichts von Format zu bieten haben. Wer in der Welt des Geistes und der Kultur alle fünf Sinne halbwegs beisammen hat, kann dem Nationalen eben kaum mehr abgewinnen als dem Feudalen oder dem Tribalen. Dem Nationalstaat in der politischen Entwicklung der Menschheit gesteht man nur die Rolle einer Etappe zu. Die Historiker der Zukunft werden das Zeitalter des Nationalismus dereinst nicht anders begutachten, als wir Heutigen die feudale Kleinstaaterei: als notwendiges, aber nicht hinreichendes Durchgangsstadium zur Weltgesellschaft. Der Wahnsinn, eine „tausendjährige Nation“ zu installieren, wird in künftigen Annalen mit dem 8. Mai 1945 als dem Punkt markiert sein, von dem an Nationalismus defintiv obsolet wurde. Daß 50 Jahre danach ein Häuflein großdeutscher Spinner immer noch nicht genug hat, ändert daran nichts: Ein alter Hut wird nicht neu, wenn man ihn selbstbewußt überstreift. Wie wenig an Argumenten und Perspektiven die Neonationalisten auf Lager haben, zeigt der Aufruf, am 8. Mai der Vertriebenen und der verlorenen Ostgebiete zu gedenken. Zu mehr als einem Provokatiönchen hat's nicht gereicht: zum Jahrestag der mörderischsten Brandstiftung aller Zeiten daran zu erinnern, daß die Feuerwehr bei den Löscharbeiten den Vorgarten zertrampelt hat. Und eine Bahnsteigkarte hatten die alliierten Löschtrupps auch nicht gelöst – so etwas bringt nationalrevolutionäre Gartenzwerge natürlich in Wallung. Ja, der Weltenlauf lag schon richtig, als er mit der Austreibung des Nationalismus ausgerechnet in Deutschland begann – und wir haben allen Grund, den alliierten Befreiern die Stiefel zu küssen und zu danken. Deutschlands „Tugend und Schönheit“ kann sich nun endlich im Frieden zeigen.

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