: Rassistisches Gedankengut? -betr.: "Stundenlanges Brechen, tagelang Durchfall" und "Von wegen harmlos", taz v. 17.3. und 31.3.1995
Betr.: „Stundenlanges Brechen, tagelang Durchfall“ und „Von wegen harmlos“, taz v. 17.3. und 31.3.
Fragwürdige Ermittlungsmethoden der Sondergruppen zur Bekämpfung der Rauschmittelkriminalität sind uns aus unserer alltäglichen Arbeit bekannt: Einwegspritzen werden beschlagnahmt, die eigentlich der AIDS-Prophylaxe dienen sollen; (...) oftmals müssen festgenommene Junkies unnötig lange im Polizeigewahrsam bleiben und bekommen dort zwangsläufig Entzugserscheinungen etc. Bisher ist uns aber kein Fall gekannt geworden, daß Polizeibeamte unsere KlientInnen (zumeist Leute deutscher Staatsangehörigkeit) mit dem Brechmittel Ipecacuanha traktiert haben.
Vermeintlichen Dealern mit schwarzer Hautfarbe wurde dieses Brechmittel in den letzten drei Jahren aber etwa 400 Mal verabreicht, angeblich um Beweise zu sichern. Nicht nur die Tatsache, daß dieses Medikament scheinbar regelmäßig angewendet wird, sondern auch die Art der Anwendung (Zwangsapplikation, zum Teil per Nasensonde) finden wir empörend.
Es stellt sich uns die Frage, wozu diese Ermittlungsmethoden gut sein sollen. Eine Brechmittelvergabe zum Zweck der Beweismittelsicherung ist (...) unverhältnismäßig. Die zutagegeförderten Drogenmengen sind derart gering, daß die Gerichte die folgenden Strafverfahren in vielen Fällen einstellen oder die Beschuldigten zu wenigen Tagessätzen verurteilen.
Dies deutet darauf hin, daß 1. Polizei und Justiz nebeneinander herarbeiten, und daß 2. die nach Meinung der Polizei zu liberale Strafverfolgung mit besonders rüden Ermittlungsmethoden kompensiert werden muß, 3. daß mit den strafrechtlich oftmals irrelevanten Kleinstmengen ein symbolischer Kampf betrieben wird: sowohl gegen Dealer als auch gegen Schwarze? Sollte es in Bremen etwa so sein, wie es unlängst in Hamburg bekannt wurde, daß Teile der Polizei rassistisches Gedankengut pflegen (...)?
(...) Möglich werden solche Übergriffe und Mißhandungen (...) aber erst durch das aufgeputschte Klima gegnüber den Drogenszenen. Wir fordern eine rückhaltlose Aufklärung der Vorwürfe. Vor drei Jahren gab es schließlich schon einmal ähnliche Vorwürfe gegen Polizeibeamte des dritten Reviers, die mittlerweile alle eingestellt sind.
Heino Stöver, Geschäftsführer Kommunale Drogenpolitik/Verein für aktzeptierende Drogenarbeit
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