: Wer funkt am flachsten?
■ Neue Runde im Radiokrieg: Jetzt werfen ausgerechnet die privaten Werbeumfeldradios dem NDR-Jugendfunk N-Joy seinen niedrigen Wortanteil vor
Das war eine ungewohnte Rolle für Wilfried Sorge. Der Funktionär des Verbands der privaten Rundfunkbetreiber, dessen Job es für gewöhnlich ist, hier nach Wettbewerb zu rufen, dort Programmgängelung zu beklagen, kam auf Inhalte zu sprechen. Er rechnete Wortanteile vor, vermißte Informationssendungen, beklagte einen verschwindend geringen Bildungsgehalt. Doch Sorges Sorge galt nicht etwa den Klängen der norddeutschen Privatradios. Der Lobbyist hatte der gebührenfinanzierten Konkurrenz gelauscht, der Jugendwelle N-Joy des Norddeutschen Rundfunks (NDR).
Auch die Coolness, mit der der NDR auf die teilweise harschen Vorwürfe der Privatradios reagierte, war neu: „Ganz normales Konkurrenzverhalten“ attestierte Anstaltssprecher Peter Müller den Privaten spöttisch. Bevor mit der in wenigen Wochen erscheinenden Media-Analyse die Karten in Norddeutschland neu gemischt werden, beziehen beide Seiten schon mal die Schützengräben. Bislang war immer klar gewesen, wer auf welcher Seite stand. Jahr für Jahr hatte der NDR auf dem umkämpftesten Flächen-Radiomarkt der Republik Federn lassen müssen. Feixend hatten die Privaten zugesehen, wie der NDR Wortsendungen reduzierte, computerisierte Sendeformate übernahm und versuchte, den Kommerzstationen populäre Moderatoren abzujagen. Doch „durchhörbare“ Programme, das konnten die zum (Werbe-)Geldverdienen verurteilten Privatradios einfach besser. Der NDR blieb mit dem Makel der tönenden Volkshochschule behaftet, seine Zuhörer wurden nicht nur weniger, sondern auch immer älter. „Nur Der Rest“ höre die trüben Wellen von der Elbe noch, plakatierte der Kieler kommerzielle Sender RSH, der 1986 mit einem markigen Slogan gestartet war: „NDR, jetzt mußt du dich warm anziehen.“
Jetzt plakatieren die Privatfunker nicht mehr, jetzt rufen sie schon mal nach dem Staatsanwalt oder dem Gesetzgeber. Denn zum ersten Mal attackierte ein öffentlich-rechtlicher Sender die kommerzielle Konkurrenz ausdrücklich mit einem neuen Programm. Für N-Joy-Radio, seit gut einem Jahr „on air“, wurden alle Register des Werbeumfeldradios gezogen: Man mietete fern der Anstaltsflure einen schmucken Studiopavillon, kaufte ein kleines Team bei der Konkurrenz zusammen und beeindruckende digitale Sendetechnik, die man mit 24stündig durchgetakteten Musikformaten fütterte. Inhaltliche Absichten oder eigene Sendeideen stellte Wellenchef Torsten Engel von vornherein unter ein Verdikt: „Wir spielen das, was die Kids hören wollen.“ Sonst nichts.
N-Joy klingt wie ein Werbeumfeldradio, ist aber keins, denn es macht keine Werbung. Daß da jemand ein Programm macht, mit dem man jede Menge Geld verdienen könnte, ebendies aber bleiben läßt, das scheint die Kommerzfunker besonders zu wurmen. Solange keine genauen Zahlen vorliegen (der NDR erwartet deutlich über zehn Prozent Reichweite für N-Joy – vier Fünftel der Hörer, sagt man dort, kommen von Privatstationen), solange führt man den Kampf mit altbekannten Mitteln.
Eine Studie, erstellt im Auftrag von sechs Privatradios vom Münsteraner Publizistik-Professor Klaus Merten, weist nach, daß N- Joy fast nur Musik dudelt (14,8 Prozent Wortanteil), und wenn geredet wird, dann fänden vor allem Hörerspielchen statt. N-Joy habe im Vergleich mit den Privatsendern nicht nur die wenigsten Beiträge, kommentiert die Studie, „sondern auch die billigsten Inhalte“. Ganze 34 Sekunden „Bildungsanteil“ wollen die Forscher im N-Joy-Programm gemessen haben – pro Woche. Merten: „Wäre N-Joy ein Privatprogramm, es würde nie zugelassen.“ Beim NDR bestreitet man Mertens Messungen, nach denen N-Joy alle für Privatradios geltenden Standards unterlaufe, nicht mal im einzelnen. Der Sender pocht aber auf sein Recht, selbst zu entscheiden, was er veranstaltet und wie er seine Pflicht zur Grundversorgung auslegt: „Das ist genau das, was wir machen wollten“, so der NDR- Sprecher Müller über das N-Joy- Programm. Außerdem stellt Müller die Seriosität des Gutachters in Zweifel. Auf die Wortqualität komme es an, nicht auf die Quantität. Auch Wellenchef Torsten Engel ist von der Studie unbeeindruckt: „Das kratzt mich nicht für fünf Pfennig. Aufgrund dieser Studie werden wir unser Programm bestimmt nicht ändern. Es ist eine von den kommerziellen Konkurrenten in Auftrag gegebene Studie, die von den Zeitungsverlegern, die Gesellschafter bei den Kommerziellen sind, natürlich promotet wird.“Im übrigen seien dem Gutachter unverzeihliche Kunstfehler passiert: So habe N-Joy keinen Verkehrsservice (weil die Zielgruppe 14-19 Jahre alt ist) und keine Werbung. Kein Wunder, daß N-Joy mehr Musik bringen könne.
Die Privaten aber sehen mal wieder die ganze Rundfunkordnung „in der Schieflage“. Entweder, so frohlocken sie, müßten jetzt die Programmanforderungen an die Privatveranstalter fallen, oder der öffentlich-rechtliche Rundfunk werde endlich „unabhängig kontrolliert“. Der Horizont der Debatte ist absehbar – die Frage: Wozu gebührenfinanziertes Radio? soll wieder gestellt werden.
Warm angezogen hat sich, schon bevor die neuen Quoten kommen, der Medienunternehmer Frank Otto (Viva, HH-1 TV, delta Radio Kiel). Er soll mit seiner Hamburger Station OK-Radio auf fast die Hälfte des Höreranteils gestürzt sein. Den Wortanteil von OK-Radio hatte die Studie aus Münster besonders hoch ausgewiesen. Frank Otto reagierte: Vier seiner Radio-Talker wurden gefeuert, „überflüssiges Moderatorengerede“ wurde untersagt. Lutz Meier
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