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Kohl trommelt zum Frieden

Mit einem Staatsakt erreichen die deutschen Feiern zum 8. Mai ihren Höhepunkt / Eine zivile Veranstaltung im Berliner Schauspielhaus  ■ Von Bascha Mika und Christian Semler

Ignaz Bubis plaudert mit Wolfgang Schäuble, Angela Merkel läuft suchend umher, Blüm, Waigel und Rexrodt sitzen schon brav auf den Plätzen. Kriegsende – 50 Jahre danach. Im Parkett des Berliner Schauspielhauses sammelt sich die politische Prominenz zum Staatsakt. Männer, fast unter sich. Schwarzer Anzug, gedeckter Schlips, hier und da glänzt rot das Käppi eines kirchlichen Würdenträgers. Aus der Mitte der siebenten Reihe leuchtet der wuselige weiße Haarkranz von Stefan Heym, Schriftsteller und Alterspräsident des Bundestages. Heym ist wohl der einzige Deutsche im Saal, der im Zweiten Weltkrieg gegen die Deutschen gekämpft hat. Auf der Seite der Amerikaner. Leicht zurückgelehnt, die Hände vor der Brust gefaltet, beäugt er die Bühne. Ein schlichtes Rednerpult steht da, ein weiß-gelbes Blumengebinde daneben. Keine Fahnen, keine politischen Symbole. Eine zivile Veranstaltung. Im Hintergrund der Bühne zupft und fiedelt das Orchester auf der Suche nach dem richtigen Ton.

Kurzes Gedränge vor den Saaltüren, schnell verebbendes Klatschen im Publikum, der Bundespräsident und seine internationalen Gäste haben in der ersten Reihe Platz genommen. Eingeladen sind die Repräsentanten der vier Siegermächte, und alle werden sie reden: John Major aus Großbritannien, Al Gore aus den USA, Viktor Tschernomyrdin aus der GUS, François Mitterrand aus Frankreich. Kanzler Kohl sitzt mitten unter ihnen, nur sagen darf er heute nichts.

Dafür spricht Präsident Roman Herzog. Kaum haben die Musiker nach Beethovens Ouvertüre zu „Coriolan“ die Instrumente aus der Hand gelegt, schreitet er schwergewichtig zum Rednerpult und wird es eine halbe Stunde nicht mehr verlassen. Aber er hat durchaus etwas zu sagen. „Millionen waren zu Krüppeln geschossen. Hunderttausende von Frauen wurden vergewaltigt. Der Geruch der Krematorien und der schwelenden Ruinen lastete über Europa.“ Herzog malt das Schreckensszenario von 1945, nennt die Täter beim Namen, spricht von der besonderen Verantwortung gegenüber den Menschen in Osteuropa. Eine Rede, an der selbst Joschka Fischer am Ende der Veranstaltung wenig zu meckern haben wird.

Herzog betont die zivilisatorische Leistung der Deutschen nach Ende des Krieges und vergißt dabei auch nicht die „kommunistische Ideologie“ zu geißeln. Das freut die meisten der 1.400 Menschen im Saal. Sie klatschen. Nur Stefan Heym nicht. Der hält die Hände still und guckt skeptisch. Heym, der heute PDS-Abgeordneter ist, hatte sich nach Kriegsende entschlossen, in der DDR zu leben. Doch der ostdeutsche Antifaschismus ist Herzog keine Erwähnung wert.

Herzog geht, Tschernomyrdin kommt. Ein kleiner, kompakter Mann ist dieser Russe. Von der „großen Tat des sowjetischen Soldaten“ spricht er, von der „Tapferkeit der Soldaten aller Nationen“. Irgendwie unpassend wirkt die Betonung des Militärischen in dieser Atmosphäre, in dem Licht der riesigen Kristallüster und dem weiß- goldenen neoklassizistischen Dekor des Schauspielhauses.

Reden, Reden und noch einmal Reden, vorne und hinten Musik. Die deutsche Feier zum 8. Mai ist unprätentiös und ohne Gepränge.

Major betritt die Bühne. Er spricht von Europa und von Kants „Ewigem Frieden“. Stefan Heym gähnt. Die Musiker auf der Bühne mimen Aufmerksamkeit und lassen sich auch durch den Vizepräsidenten der USA, Al Gore, nicht ermüden. Nicht nur ein Sieg in Europa, sondern ein „Sieg für Europa“ sei 1945 erreicht worden, sagt Gore. Der jüngste der Festredner. Er lobt die Deutschen, die „die bösen Denkmuster abgelegt“ hätten. Kohl freut sich, man sieht es ihm an.

Ruhig geht die Veranstaltung ihren Gang, plötzlich wird es noch stiller. Als sich François Mitterrand von seinem Sitz in der ersten Reihe erhebt. Sehr bleich, sehr vorsichtig macht sich der Todkranke auf den Weg. Zum Rednerpult – aber auch zu seiner letzten Rede als französischer Staatspräsident. Und dann erzählt er. Bedächtig, persönlich. Stefan Heym sitzt gespannt vornübergebeugt. Er ist nicht der einzige.

Von seinen Erfahrungen als Soldat berichtet Mitterrand und von seinen Erlebnissen mit den Deutschen. Er läßt keinen Zweifel daran, daß seine Vision von Europa gleichzeitig sein Vermächtnis ist. „Ich bin nicht gekommen, um einen Sieg zu feiern“, endet er, „denn ich habe erfahren, welche Tugenden, welchen Mut das deutsche Volk besitzt.“ Ein willkommeneres Geschenk hätte er den Gästen im Saal nicht machen können. Eine Bewegung geht durch die Menge, sie steht auf, applaudiert, laut und langanhaltend. Dann erklingt Beethovens Fantasie für Klavier. Kanzler Kohl trommelt den Takt – offenbar sehr zufrieden mit sich und diesem 8. Mai. Dann schmettert er noch wie die meisten anderen die Nationalhymne. Stefan Heym singt nicht.

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