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Ein Dino mit dünner Haut

Die Softwarefirma SAP in Walldorf beherrscht den Markt für industrielle Datensysteme. Kritik am Erfolgsrezept ist nicht erwünscht  ■ Von Jochen Wegner

Eine Legende, wie sie sonst nur die USA kennen: Junger Mann mit Vision schafft sein eigenes, milliardenschweres Unternehmen. So trug es sich zu mit William H. Gates III., der heute von Redmont im Bundesstaat Washington aus bestimmt, was morgen auf den PC- Festplatten dieser Welt rotiert. In Walldorf im Bundesland Baden- Württemberg bestimmt Dietmar Hopp, wie die Rechner deutscher Großunternehmen ticken. So hat auch Süddeutschland seine Legende: Gestern legte Hopp auf einer Bilanzpressekonferenz dar, wie prächtig es ihm und seiner Firma schon wieder geht.

Im Jahr 1972 beschlossen vier IBM-Berater, daß Software von der Stange möglich sei. Damals hatten Unternehmen noch gehörigen Respekt vor der eigenen EDV-Abteilung. Das Angebot, die Göttergleichen mit Massen- Modulen vom Sockel zu holen, gilt noch heute als Revolution.

Hopp und Freunde gründen eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, mit dem blassen Namen „Systeme, Anwendungen, Produkte in der Datenverarbeitung“, kurz „SAP“. Bis 1980 stricken sie auf den Großcomputern ihrer Kunden Massenware. Erst zu Anfang des neuen Jahrzehnts leisten sie sich eigene Rechner, haben um die 70 Angestellte und bedienen die Hälfte der hundert größten deutschen Industrieunternehmen.

Wie Gates kommt der Hardware-Preisverfall auch Hopp gerade recht: „Ab 1980 ging es aufwärts“, sagt er – und meint eine Explosion. Der Umsatz bläht sich von 14 Millionen zu Beginn des Jahrzehnts auf 245 Millionen im Jahr 1988. Ganz Gates, geht Hopp an die Börse. Die GmbH wird AG. Manche Großen der Branche entlassen Anfang der 90er die Hälfte ihrer Belegschaft, Hopp schraubt seinen Umsatz bis 1994, dem erfolgreichsten Jahr, auf über 1,8 Milliarden. Mit drei, vier Ausnahmen sind die hundert Größten der deutschen Großindustrie fest in SAP-Hand.

Mit besten Empfehlungen der Deutschen Bank

In letzter Zeit indes muß sich der Dino ein wenig Kritik aus dem Unterholz der Realität gefallen lassen. Mit dem neuen System „R/3“, das den Wandel von Zentralrechnern hin zu kleineren, vernetzten Computern nachvollzieht, will SAP auch den Mittelstand übernehmen. Gerade der aber wundert sich über Kosten für „unabhängige Berater“. Oft fließt das Vielfache der reinen Software-Gebühren in die Taschen freischaffender SAP-Spezialisten. Wegen des extremen Wartungsaufwands und der schieren Komplexität des Systems müssen zudem eigene Mitarbeiter als Software-Sklaven abgestellt werden. Wer davon spricht, stellt fest, wie dünn die Haut des Dinos ist. Die Knochen darunter stammen ungefähr aus dem Pleistozän der Public Relations. Als Dieter Eckbauer, Chefredakteur des Branchenblatts Computerwoche, im Februar einen kritischen Artikel veröffentlichte, kündigte SAP-Sprecher Michael Pfister in der Hauspostille „SAP info“ an, man werde das Anzeigenvolumen von 800.000 Mark in der Computerwoche „deutlich reduzieren“. Was Eckbauer nicht schaffte, gelang dann Burkhard Böndel in der Wirtschaftswoche: Mit einem Endzeitbericht brachte er Mitte März die SAP-Aktie ins Rutschen. Als „Lemminge“ titulierte eine Schlagzeile die SAP-Kundschaft, „Absturzgefahr“ bestehe für den Branchen-Riesen, der mit der Hardware-Industrie kungele. An einem einzigen Tag fiel danach die mit 1.295 Mark notierte SAP-Aktie um 70 Mark, am Monatsende war sie elf Prozent weniger wert.

Mit einer rührenden Anzeigenkampagne versuchte sich die Firma zu verteidigen, ausführliche Gegen-Dokumentationen wurden verschickt, SAP-Berater luden Kunden zum Hintergrundgespräch. Auch Dietmar Hopp zog sich, „persönlich betroffen“, mit Dieter von Holtzbrinck, Verleger der Wirtschaftswoche, ganz ohne störende Redaktion zum Gespräch zurück. Daß man übereingekommen sei, in einem Blatt der Holtzbrinck-Verlagsgruppe „nach einer Schamfrist von sechs Wochen ein Pro-SAP-Artikel“ zu drucken, wie SAP-Sprecher Pfister später in der Zeitschrift Börse online zitiert wurde, mußte dasselbe Blatt auf Holtzbrincks Intervention und Pfisters Dementi hin widerrufen.

Heute ist man wieder ganz Dickhäuter – die Aktie lag gestern über 1.400 Mark. Darüber freut sich Sönke Papenhausen von der „Deutsche Bank Research“: „Wir haben empfohlen, zu kaufen.“ Für dieses Jahr kann er sich einen Kurs um die 2.000 Mark vorstellen. „R/3“ verkauft sich prächtig, erwartungsfroh stieg die Zahl der Beschäftigten, mit hauseigenen Tennisplätzen verwöhnt und ganz ohne Betriebsrat, im ersten Quartal 1995 um rund 1.000 auf knapp 6.200. Und das Legendärste an Hopps amerikanischer Legende: Er hat sie in die USA reimportiert. Ein Drittel seines Umsatzes wird heute dort gemacht.

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