: Zwei neidische Brüder, die sich nicht trennen lassen
■ Die Russen trauen den Deutschen nicht unbedingt, aber sie nehmen ihnen nichts übel. In der russischen Politik gibt es sogar Sehnsüchte nach einer engeren Allianz.
„Was für die Russen gut ist, ist für die Deutschen der Tod“, sagt ein Jahrhunderte altes russisches Sprichwort. Krasser kann ein Gegensatz zwischen zwei Völkern nicht formuliert werden. Hochachtung und Mißtrauen bestimmen bis auf den Tag die russische Haltung zu Deutschland. „Zwei neidische Brüder, die einander weder Fehler, Sieg noch Niederlage verzeihen, jedes kleine Vergehen des anderen sofort ausnutzen und sich dennoch voneinander nicht trennen lassen“, meinte ein junger Intellektueller am Rande des Gedächtnisparks Poklonnaja Gora.
Nicht erst die beiden Weltkriege setzten diese Ambivalenz frei. In einer Umfrage des Wikom- Instituts am Vorabend der Feiern zum 50. Jahrestages des Sieges über Hitler-Deutschland sprachen 19 Prozent der Befragten den Deutschen volles Vertrauen aus. Genau ein Drittel traut dem ehemaligen Kriegsgegner immerhin mehr oder weniger. Etwas über ein Fünftel begegnet ihnen hingegen eher mit Mißtrauen, während nur 16 Prozent den Deutschen absolut nicht über den Weg trauen.
Aber Rachegefühle gibt es nicht. Anders als viele Westeuropäer haben die Russen Deutschland und die Nazis nie miteinander identifiziert. Die Nähe der russischen Intelligenz zum deutschen Kultur-und Geistesleben in den vergangenen 250 Jahren mag einiges erklären.
Deutschland bleibt, unabhängig von der politischen Gesamtwetterlage, wichtigster Ansprechpartner in Europa. Die leichte Eintrübung der Beziehungen zu den USA verstärken diese Tendenz. Noch in der Endphase der UdSSR galt Amerika als Leit- und Vorbild.
Jedes politische Spektrum in Rußland neigt dazu, in Deutschland einen natürlichen Verbündeten zu sehen. Damit sind auch Gefahren verbunden. Rechtsextremist Schirinowski pflegt beste Kontakte zum deutschen Faschisten Gerhard Frey. Antiwestliche Ressentiments liefern die gemeinsame Grundlage. Weniger prononciert bauen auch gemäßigtere Nationalisten auf die geistige Wahlverwandtschaft. Die historischen „Sonderwege“ der beiden Länder sollen eine Allianz der Distanz gegenüber dem Westen begründen. Nur Deutschland passe zu russischem „Anderssein“. Selbst die Kommunisten stoßen ins gleiche Horn. Ihr Vorsitzender Sjuganow bietet deutschen Gesprächspartnern unverhohlen ein zweites Rapallo an.
Der Pakt von Rapallo sollte 1921 in erster Linie die militärischen Restriktionen des Versailler Vertrages unterlaufen. Die politische Elite hat nicht vergessen, daß es die deutschen Konservativen waren, die in Rapallo mit den Bolschewisten paktierten. Sie legten die Saat für das Mißtrauen des Westens gegenüber einem unkalkulierbaren Deutschland.
Natürlich verbergen sich dahinter hegemoniale Ansprüche, nicht unbedingt gegenüber Deutschland, aber gegenüber dem klassischen Einflußbereich Osteuropa.
Die instabile Lage des Kreml und die Versuchung, Außenpolitik nach innenpolitischen Motiven kurzfristig auszurichten, kann leicht zur Übernahme derartiger Muster in die offizielle Politik führen. Bisher hofft Moskau auf die tatkräftige Hilfe Bonns bei der Aufnahme Rußlands in die Institutionen der Europäischen Union. Genauso erwartet man Rückendeckung bei der Nato-Erweiterung, die der Kreml auf jeden Fall vereiteln möchte. Selbstverständlich schwingen da auch andere Motive mit. Eine Europäische Union einschließlich Rußland verschiebt das Kräfteverhältnis und verdrängt längerfristig die USA aus Europa. Ähnliches droht bei einer Aufnahme Rußlands in die WEU. Eine deutsch-russische Dominanz wäre dem Europagedanken nicht zuträglich. Deutschland kann Rußland nur ein nützlicher Partner sein, wenn es seine Westverankerung nicht preisgibt.
Noch immer trägt das russische Deutschlandbild imaginäre Züge. So hofft man, nach einer innenpolitischen Konsolidierung könne der westliche Nachbar seine Kräfte geballt in den Aufbau Rußlands stecken. Auch das eine Wunschvorstellung, die behutsame Korrekturen verlangt.
Die Zeiten sind insgesamt etwas frostiger geworden. Verschwörungstheorien und Einkreisungsphobien, die lange ausschließlich auf dem Humus nationalistischer Extremisten sprießten, finden Aufnahme in die Sprache des Kremls. Der Plutonium-Skandal des Bundesnachrichtendienstes goß Wasser auf die Mühlen derjenigen, die es immer schon wußten: Der Westen warnt vor östlichem Atomschmuggel, um schließlich Kontrolle über die russische Nuklearproduktion und Zugang zu spaltbarem Material zu erhalten. Nun haben die Russen recht behalten – und begründete Verdachtsmomente werden fürderhin auf berechtigtes Mißtrauen stoßen. Ausgerechnet am Vorabend der Fünfzig-Jahr-Feiern des Sieges über den Hitler-Faschismus hat Deutschland uralte Stereotypen bekräftigt. Klaus-Helge Donath, Moskau
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