Johannes Rau ist die absolute Mehrheit bei Wahlen in Nordrhein-Westfalen am Sonntag so sicher, daß weder die SPD noch die CDU, noch die Grünen viel Fantasie in den Wahlkampf investieren wollten. Nur die FDP zittert. Aus Bochum Walter Jakobs

Kumpel gegen Abbau der Filzförderung

Das Gerede vom inhaltsleeren, langweiligen Wahlkampf bringt Oskar Lafontaine in Rage: „Das ist doch nicht langweilig, ob jemand Arbeitslosenhilfe bekommt oder nicht.“ Geht es am Sonntag bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl um die Arbeitslosenhilfe? Nicht direkt, aber, so beschwört der saarländische Ministerpräsident seine ZuhörerInnen im Schulzentrum in Bochum- Gerthe, „durch die Wahl der SPD stärken Sie uns im Bundesrat“. Und dort, so die Botschaft, können die Sozialdemokraten die Bonner Regierungskoalition, die die Arbeitslosenhilfe im Visier hat, dann um so besser Mores lehren.

Nun, bei den knapp 200 ZuhörerInnen hätte es dieses Wahlappells nicht bedurft. Ihre Stimmen sind Johannes Rau ohnehin sicher, denn zu den Wahlkampfveranstaltungen der Parteien verirren sich selten Menschen vom anderen politischen Ufer.

So hören die rund 1.500 Bergleute, die dem Aufruf der SPD-Arbeitnehmergruppe innerhalb der Gewerkschaft Bergbau und Energie nach Castrop-Rauxel gefolgt sind, auch nichts von den giftigen Angriffen des CDU-Herausforderers Helmut Linssen (52), der dem 64jährigen Rau bei jeder Gelegenheit vorwirft, mit seiner „abgeschlafften Altherrenriege“ im Kabinett das Land NRW durch „Vertrösten, Vertagen, Versagen“ in eine „regierungsfreie Zone“ verwandelt zu haben.

Und vice versa bekommen die CDU-Anhänger nichts von der Messe mit, die die Kumpel für Rau zelebrieren, um sich „für den erfolgreichen Einsatz zur Rettung der Steinkohle zu bedanken“. Gewiß, die Show ist inszeniert, aber der Zwischenruf eines Bergarbeiters, „Johannes, wir lieben dich“, ist beileibe kein PR-Gag. Der Dank der Bergarbeiter kommt aus vollem Herzen und wird sich am Sonntag auf den Stimmzetteln auszahlen: Wahrscheinlich kann Rau ab Sonntag mit absoluter Mehrheit weiterregieren.

Daß die Düsseldorfer SPD-Regierung im Einvernehmen mit der CDU kurz vor der Wahl noch schnell den Braunkohletagebau Garzweiler II genehmigt und gleichzeitig penetrant die „ökologische Erneuerung“ des Landes beschwört, bringt viele Menschen in der Aachener Region zwar gegen die Regierung auf, doch in den Steinkohlerevieren des Ruhrgebietes läßt es die Leute kalt.

Scharfe Kritik daran kommt nur von den Grünen oder von fachkundigen Einzelpersonen, wie etwa den am landeseigenen Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen beschäftigten Prof. Meyer-Abich. Spätestens seit der Garzweiler- Entscheidung kann Meyer-Abich „das Gerede der NRW-SPD von der ökologischen Erneuerung nicht mehr hören. Der Begriff wird dadurch ad absurdum geführt. Ausgerechnet die Braunkohleförderung auszuweiten bedeutet, daß wir in NRW noch auf lange Sicht zu Lasten der Dritten Welt leben werden, denn die Braunkohleverbrennung ist unter dem Klimagesichtspunkt so ziemlich das Schlimmste, was man überhaupt machen kann.“

Meyer-Abich führt die politische Lethargie, den Mangel an zündenden politischen Debatten vor allem auf den total auf die Person Rau zugeschnittenen Wahlkampf der SPD zurück. Der den Parteien laut Grundgesetz zukommende Auftrag, zur Willensbildung der Bevölkerung beizutragen, gehe in diesem „Waschmittelwahlkampf“ unter und schade auf lange Sicht der Demokratie.

Raus wichtigster Gehilfe in der Düsseldorfer Regierung, der Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei, Wolfgang Clement, will dagegen die Rau-Kampagne mit „unerbittlicher Konsequenz“ bis zum Sonntag weitertreiben.

Von den Bergleuten in Castrop- Rauxel wird Clement ebenso gefeiert wie ein paar Tage zuvor von über 10.000 Stahlarbeitern und Werksrentnern, die in Bochum im Zusammenhang mit der Pleite einer Tochtergesellschaft der Stahlkonzerne Krupp-Hoesch, Thyssen und Klöckner für die Erfüllung der Sozialpläne demonstriert hatten. Clement durfte als einziger Politiker ans Mikrofon, weil, so ein Metaller, „bei uns nur der reden darf, der auch was für uns tut“. Damit spielte der Gewerkschafter nicht nur auf einen von der Landesregierung kurzfristig gewährten Massekredit in Höhe von 10 Millionen Mark für die geprellten Stahlkocher an.

„Regierungsfreie Zone“? Nein, solche oppositionellen Sprüche kommen bei den gut fünf Millionen Revierbürgern, etwa einem Drittel der Wahlberechtigten, nicht an, weil sie zu deutlich im Kontrast zur Erfahrungswelt der Menschen stehen. Keine andere Partei in NRW hat den Strukturwandel im Kohle- und Stahlbereich so eng begleitet wie die SPD. Seit 1966 bestimmt die Partei in Düsseldorf die Politik. Seither wurden rund 300.000 Stahlarbeitsplätze abgebaut, und die Zahl der Bergleute sank um rund 450.000 Beschäftigte auf heute noch etwa 70.000. Etwa 600.000 neue Jobs verhinderten den Absturz. Dazu, daß dieser gewaltige Schrumpfungsprozeß halbwegs sozialverträglich über die Bühne ging, haben die Sozialdemokraten im Regierungslager wie auf Seiten der Gewerkschaften einen wesentlichen Beitrag geleistet.

Nicht zuletzt darauf fußt die Zustimmung zur SPD in dieser Region, die alle oppositionelle Kritik an Raus Regierungsstil ins Leere laufen läßt. Auch stichhaltige Filzvorwürfe oder die Thematisierung von skandalösen Ministerverfehlungen – Umweltminister Matthiesen, Justizminister Krumsiek – prallen an Raus Popularität einfach ab. Rau schafft es sogar, noch den Filzvorwurf in Sympathiewerbung umzumünzen: „Wenn Filz heißt, es stehen die zusammen, die dieses Land aufgebaut haben, dann bin ich gerne verfilzt.“ Da ist ihm der Beifall sicher.

Hinter dem erreichten Wandel im Revier, das immer noch eine Arbeitslosenrate von 13 Prozent aufweist, lassen sich aktuelle Regierungsschwächen leicht verstecken. Dabei steht es nicht gerade gut um die Region. Heute studieren zwischen Dortmund und Duisburg zwar 150.000 Studenten an 14 Hochschulen – Anfang der sechziger Jahre gab es hier ausschließlich ein paar tausend Lehramtsstudenten –, doch noch immer gibt es den Worten des Dortmunder Regionalökonomen Franz-Josef Bade zufolge „eine stabile Wirtschaftsentwicklung nach unten“. Dafür trage die Politik, die sich zu sehr „im Netzwerk“ der Schwerindustrie bewegt habe, zwar eine Mitverantwortung, aber viel wichtiger erscheint Bade das Versagen der ansässigen Unternehmen selbst: „Die haben viel weniger in Forschung und Entwicklung investiert als vergleichbare Unternehmen in anderen Teilen des Bundesgebietes.“ Wegen dieser „mangelnden Zukunftsvorsorge“ sieht Bade auch „keinen Anlaß zur Zuversicht“ im Revier.

Ganz andere Töne verbreitet dagegen die Düsseldorfer Landesregierung in diesem Wahlkampf. Raus Allzweckwaffe Clement, der Nordrhein-Westfalen mit seinen rund 120.000 Arbeitsplätzen in der Medienbranche schon auf dem Weg „zum ersten Medienstandort in Deutschland und in Mitteleuropa“ wähnt, schwärmt von den „guten Chancen“, auch im Revier endlich „über den Berg zu kommen“. Mit schönen Versprechungen warten auch die Oppositionsparteien auf. Während CDU-Chef Linssen bis zum Jahr 2000 „mindestens 300.000 neue Arbeitsplätze“ verspricht, trommeln die Grünen für ein 12 Punkte umfassendes Sofortprogramm, wozu auch ein Öko-Investitionsprogramm in Höhe von fünf Milliarden Mark zählt. Allein dadurch sollen innerhalb von fünf Jahren „100.000 zukunftssichere Arbeitsplätze“ geschaffen werden.

Doch selbst in den eigenen Reihen gilt das zusammengeschusterte Sofortprogramm nicht viel. Offen reden mag darüber vor der Wahl indes nur die von der linken Parteibasis nicht wieder aufgestellte Landtagsabgeordnete Beate Scheffler. Sie spricht von einer „reinen grünen Wunschliste“ mit „völlig illusorischen“ Zahlenangaben. Ihr springt der Dortmunder Hochschullehrer Bade bei. Wer beim wirtschaftlichen Umbau schnellen Erfolg verspreche, führe die Menschen in die Irre. Einen guten Wirtschaftsförderer vergleicht Bade mit „einem Waldbauern, dessen Setzlinge auch keine frühe Ernte versprechen“.

Waldbauern rechnen allerdings nicht in Legislaturperioden.