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Dann haben wir die Startbahn Ost

Mit Protestspaziergängen wie am kommenden Sonntag mobilisieren die Sperenberger gegen den geplanten Großflughafen bei Berlin  ■ Aus Sperenberg Wolfgang Farkas

Der Himmel ist blau und leer. Nur der ruhige und feuchte Mischwald bietet Schutz vor der intensiven Nachmittagssonne. „Jetzt sind wir mittendrin“, sagt Carsten Preuß, ein Mann, der sich hier wohl fühlt. „Haben Sie den Trompetenton gehört?“ fragt er. „Das war ein Kranich.“ Wir wandern einen schmalen Weg entlang, die alte Poststraße, auf der früher Berliner Postkutschen Richtung Süden gerollt sind. Preuß begleitet öfter Menschen, die sich für die Kummersdorfer Heide interessieren. Zuletzt einen Manager in dunklem Anzug, Dr. Götz Herwig. Herwig ist der Geschäftsführer der Berlin Brandenburg Flughafen Holding, und er hat sich laut Preuß bei seiner Ortsbesichtigung beklagt, daß die Wege nicht ausgeschildert seien. Wir machen halt an einem der kleinen Seen, die sich in dem ehemaligen Torfgebiet befinden. Hinter Büschen hocken zwei Angler auf Klappstühlen. Zunächst bemerken sie uns nicht. „Beißen die Fische?“ – „Nee, das muß die Frühjahrsmüdigkeit sein.“ Gelächter. Stille. „Das geht sowieso alles hops hier.“ – „Dann haben wir hier die Startbahn.“ Für Manfred Stolpe ginge es dann erst richtig los. Der brandenburgische Ministerpräsident setzt sich wie kaum sonst jemand für einen Großflughaften Sperenberg ein. Stolpe verspricht sich von dem Vorhaben einen gewaltigen Investitionsschub und mehr als 24.000 Arbeitsplätze auf einen Schlag. Einige Sperenberger glauben an den Aufschwung. Für die meisten aber ist der geplante Flughafen vor allem eines: ein „Fluchhafen“. Zu DDR- Zeiten unterhielten die Sowjets bei Sperenberg einen riesigen Truppenübungsplatz, der den Anwohnern schon einmal die Ruhe nahm.

Helga Porath kann es nicht fassen, daß für ein in ihren Augen überflüssiges Projekt 22 Millionen Bäume gefällt werden sollen. „Die Natur kann sich nicht wehren“, sagt die stellvertretende Bürgermeisterin Sperenbergs, „ich muß mich zur Wehr setzen.“ Die gelernte Krankenschwester traut nicht einmal mehr einem Stolpe, „einem Mann, den ich eigentlich sehr bewundere“, ein „Mindestmaß an Menschlichkeit“ zu. Deshalb hat sie auch keine Angst mehr vor Konsequenzen, die aus ihrem Engagement folgen könnten. „Bei einer Straßenblockade würde ich mitmachen.“ Sie kann inzwischen verstehen, wenn Eisenbahnschienen angesägt werden, „um einen gefährlichen Transport wie den Castor zu stoppen – solange dabei keine Menschen verletzt werden“. Wenn die Entscheidung für Sperenberg fallen sollte, werden Hunderte von Lkw, Baggern und Planierraupen aus den Wäldern eine Wüste und aus einem Ausflugsgebiet eine Einflugsschneise machen. Porath rechnet damit, daß die Wut der Sperenberger wächst. Einige, meint auch Carsten Preuß, redeten schon von der „Startbahn Ost“ und davon, daß der Widerstand so heftig wie einst in Frankfurt und in Gorleben werden könnte.

Aber noch ist Sperenberg nicht überall, sondern im Niemandsland. Gut 30 Autominuten südlich von Berlin hat die Wiedervereinigung bislang kaum Spuren hinterlassen – zumindest, was das äußere Bild der 2.000-Seelen-Gemeinde angeht. Viel Staub auf der Hauptstraße, ein Grauschleier, der die Häuserfassaden überzieht und alles, was ein Dorf eben braucht: fünf Gaststätten, eine Schule, eine Kirche und einen Friedhof. Doch ob die Sperenberger nun wollen oder nicht, gerade ihre Gemeinde ist für höhere Ziele ausgewählt worden.

Erste Meldungen über einen möglichen Großflughafen in Sperenberg habe er gleich nach der Wende in der Boulevardpresse gelesen, erzählt der 32jährige Carsten Preuß. Mit drei, vier Leuten hätte er sich schon damals gesagt: Das werden wir auf keinen Fall zulassen. Erst im September 1994 aber rief man dann zur Gründungsversammlung der Bürgerinitiative Sperenberg, die mittlerweile weit über den Ort hinaus etwa 10.000 Mitglieder hat. Das Schlimmste im Moment, findet Preuß, sei „dieser Schwebezustand“. Denn noch immer ist nicht abzusehen, wo das neue „Drehkreuz in den Osten“ (Stolpe) aus dem Boden gestampft werden soll: in Sperenberg oder in Schönefeld Süd. Ende Juni will die Flughafenholding ihre Entscheidung bekanntgeben.

Neue Argumente gibt es in dieser Diskussion keine; die Standpunkte sind zu klar. Auf der einen Seite stehen jene, die wir die Optimisten nennen können. Zu ihnen zählt Manfred Stolpe, der brandenburgische Landtag (mit Ausnahme der PDS), die Berliner SPD und die Flughafenholding, die sich aus dem Bund und den Ländern Berlin und Brandenburg zusammensetzt. Die Optimisten gehen davon aus, daß Berlin als Hauptstadt ein rasant steigendes Flugaufkommen haben werde. Im Jahre 2004 sollen statt der heute 10,2 Millionen Fluggäste über 25 Millionen Passagiere jährlich in Berlin starten und landen. Weiterhin rechnen die Optimisten, daß der Superflughafen dem strukturschwachen Brandenburg langfristig über 50.000 Arbeitsplätze bringen werde. Für diese Prognosen biete Sperenberg die besten Voraussetzungen. Denn hier habe man kein Nachtflugverbot wie in Schönefeld, und unter den negativen Folgen wie Lärmbelästigung würden weniger Menschen leiden als in Stadtnähe. Johannes Hauenstein, der mit einer kleinen Initiative gegen Schönefeld und für Sperenberg kämpft, rechnet sogar vor, daß bei einem Flugzeugabsturz in Tegel 330 Menschen, in Schönefeld 560, „in Sperenberg aber nur 43 Menschen sterben würden“.

Zu den Leuten, die wir die Skeptiker nennen können, gehört etwa Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU), der befürchtet, daß sich der 15 Milliarden schwere Airport nicht finanzieren lasse. Wissmann liebäugelt deshalb mit einem allmählichen Ausbau des Flughafens Schönefeld. „In Berlin läuft zur Zeit das gleiche unselige Spiel wie damals bei uns“, gibt dagegen der bayerische Landtagsgrüne Christian Magerl zu bedenken. Auch der Großflughafen München II, 1994 in Betrieb gegangen, war einmal als Drehkreuz anvisiert worden. Von 30- bis 50.000 Arbeitsplätzen bis zum Jahr 2000 sei die Rede gewesen. Derzeit habe man etwa 12.000, Tendenz fallend. „Das, was prognostiziert wurde, hat sich bei weitem nicht erfüllt“, sagt Magerl. Und er munkelt, daß sich Stolpe wohl – wie einst Franz Josef Strauß – mit einem Flughafen ein Denkmal setzen wolle.

Zu den Skeptikern gehören aber vor allem jene Menschen in Brandenburg, die es zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem Großprojekt zu tun bekommen. Es sind Ingenieure wie Carsten Preuß, der im Engagement gegen den Flughafen ein neues Lebensziel entdeckt hat: „Wenn ich an einem trüben Morgen zur Arbeit fahre und am Auto vor mir einen „Großflughafen – Nein!“-Aufkleber sehe, dann geht es mir schon wieder gut. Es sind Pfarrer wie Jörg Scheuerpflug, der seine Aktivitäten mit der „Ehrfurcht vor dem Leben im Sinne von Albert Schweitzer“ begründet. Es sind Nonnen aus dem Benediktinerkloster St. Gertrud, die auf einmal mit sehr weltlichen Dingen konfrontiert sind. „Wir werden uns weiter an den Protestwanderungen beteiligen“, sagt eine Glaubensschwester. „Aber der Presse geben wir keine Auskünfte mehr. Wenn wir gesagt haben: ,Diese Naturzerstörung ist unverantwortlich‘, hieß es am nächsten Tag: ,Das ist eine Sünde, die Gott nicht verzeihen wird.‘“ Und es ist ein Bauer, der seit dem ersten Protestmarsch im März dieses Jahres aktiv ist und der auch am nächsten Sonntag bei der nunmehr vierten großen Demonstration dabeisein wird – „an vorderster Front“, wie er sagt.

Wenn Gerhard Linde lacht, glänzen seine Goldzähne und seine Augen bekommen etwas leicht Teuflisches. „Die Brandenburger Regierung versucht natürlich, jeden potentiellen Gegner mundtot zu machen“, sagt er und fährt mit derben Händen durch die Luft. Für die erste Demonstration sei ihm „ein ganzer Schrank voll Auflagenbescheide“ zugefaxt worden. Im Anschluß an die Veranstaltung wurde Linde „zur Auswertung“ ins Potsdamer Polizeipräsidium geladen. „Ob ich hier noch mal den Kommandanten mache, weiß ich nicht“, sagt Linde, „aber weitermachen werde ich auf jeden Fall.“ Seine Existenz als Bauer wäre mit dem Flughafen beendet. „Wer kauft mir noch meine Kartoffeln ab, wenn sich hier auf einer Fläche von zwanzig mal zwanzig Kilometer eine ständige Dunstglocke befindet?“ fragt Linde. Wenn das Grundwasser um einige Meter abgesenkt werde, dann versteppten seine Felder, „dann können wir höchstens noch kaukasische Schafe züchten, die brauchen wenig Wasser.“ Er glaube, daß die Stimmung kippen werde, meint der Bauer dann nachdenklicher. Naturzerstörung unter Polizeischutz werde auf Dauer nicht akzeptiert werden; das habe man beim letzten Castor-Transport sehen können. Was das überhaupt für eine Doppelmoral sei: „Den Brasilianern sagen wir: Ihr seid des Wahnsinns, was ihr mit den Regenwäldern macht. Und wir, wir veranstalten Klimakonferenzen und setzen auf steigenden Luftverkehr.“ Dann grinst Gerhard Linde wieder und verkündet, daß „die Großkapitalisten nicht auf ewig regieren werden“. Und was der Verkehrsminister befürchtet, gilt dem Sperenberger Bauern als letzte Hoffnung: Schließlich könnte auch einer Flughafen-Holding mal das Geld ausgehen.

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