: Verfolgung als Alltag
■ Überleben unter Karadžić: Interview mit dem katholischen Bischof Franjo Komarica
Franjo Komarica ist katholischer Bischof der Diözese Banja Luka in Nord-Bosnien. Dieses Interview wurde einen Tag vor der Sprengung von vier katholischen Kirchen im serbisch besetzten Norden Bosniens geführt.
taz: Vor wenigen Tagen haben kroatische Truppen Westslawonien erobert. Befürchten die Katholiken hier, daß die Angriffe sich auf Nord-Bosnien ausweiten?
Franjo Komarica: Das ist bereits geschehen. Vor zwei Tagen wurde ein altes Ehepaar in seinem Haus ermordet. Die katholischen Kirchen, die noch stehen, werden beschossen. Verfolgung gehört für uns seit drei Jahren zum Alltag. Katholiken werden geschlagen, verhaftet, vertrieben und ermordet. Die Hälfte unserer Kirchen ist schon vollkommen zerstört; keine einzige blieb unbeschädigt. Ich selbst wurde mehrere Male entführt und schwer geschlagen und kam nur knapp mit dem Leben davon. Ich rechne jeden Tag mit meiner Ermordung.
Wie ist die Situation Ihrer Gemeinde und der Kroaten überhaupt in Nord-Bosnien?
Ich bin der Bischof einer katholischen Diözese, nicht einer kroatischen. Bis 1945 gab es viele deutsche, polnische, tschechische, italienische und ungarische Katholiken hier, davon sind nur wenige geblieben. Ein Drittel meiner Diözese wurde im Zweiten Weltkrieg ausgelöscht. In den vergangenen drei Jahren wurden mehr als zwei Drittel der seitherigen Gemeinde vertrieben oder ermordet, und es werden jeden Monat weniger.
Es gibt viele Leute, die meinen, daß ein Zusammenleben der Volksgruppen in der Zukunft unmöglich geworden ist.
Das ist nicht die ganze Wahrheit. Es gibt viele einfache Leute, die anders denken als die führenden Politiker. Die Katholiken in dieser Gegend sind zum großen Teil zur Versöhnung bereit. Die meisten Vertriebenen, seien es Muslime, Kroaten oder Serben, wollen nach Hause zurück.
Haben Sie versucht, mit der serbischen Führung zu verhandeln?
Ja, ich habe Herrn Karadžić geschrieben und gefragt, ob er meint, daß jetzt unsere orthodoxen Brüder schaffen, was weder die Hunnen, die Avaren, die Mongolen, die Tataren, die Ottomanen noch die Kommunisten geschafft haben – nämlich die Katholiken dieser Gegend auszurotten.
Aber die bosnischen Serben haben es doch geschafft. Das Gebiet Banja Lukas gilt als fast „ethnisch gesäubert“...
Das ist wahr, und die führenden Politiker der Welt sind dafür mitverantwortlich, weil sie nichts unternommen haben. Auch die lokalen Politiker haben die Entwicklungen mitgetragen, obwohl die Schuld immer auf paramilitärische Gruppen geschoben wurde.
Jetzt haben sich die Methoden geändert, sind weniger gewalttätig geworden. Manche nennen dies die „Endphase der Säuberungen“.
Dieser Ausdruck „Endphase“ klingt für uns furchtbar. Wir wollen über die Rückkehr der Menschen sprechen, nicht über eine „Endphase“. Es stimmt aber, daß die ethnischen Säuberungen jetzt anders verlaufen als vor zwei Jahren. Die Menschen werden auf eher perfide Art vertrieben, wie durch Zwangsarbeit an der Front oder gelegentliche Attentate. Ich betrachte es als ein Wunder Gottes, daß überhaupt noch Leute von uns geblieben sind. Interview: Paul Hockenos
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