: Diskus-Liesel auf Abwegen
Liesel Westermann, als „letzte ungedopte Diskuswurf-Weltrekordlerin“ Ikone sportlicher Integrität, auf dem Sprung in den Landtag Nordrhein-Westfalens ■ Von Peter Unfried
Solingen (taz) – Unterm blau- gelben Schirm stand neulich auf dem Solinger Marktplatz die Landtagskandidatin und hörte die Passanten sagen, daß doch alles Mist sei. Ich, hielt die Kandidatin da entgegen, habe vier Kinder und sehe es einfach als notwendig an, mich einzubringen, damit dieser Staat Zukunftschancen hat. „Fair, dynamisch, kompetent“, steht auf ihrem Wahl-Flyer, und vorn sieht man eine 50jährige fair und kompetent lächeln, hinten sich mit dem Wurfgerät Diskus dynamisch im Ring drehen.
Kann sich einer heute eigentlich noch vorstellen, daß ein Diskuswurf dereinst nationale Euphorie auszulösen vermochte? Ist tatsächlich passiert. Am 5. November 1967 war's, in São Paulo, als Liesel Westermann als erste Frau der Welt ihr Sportgerät über die 60- Meter-Marke auf 61,26 Meter wuchtete. Kurz darauf war sie bei Lübke zur Privataudienz.
Zum einen war plötzlich jemand aus der westlichen Hemisphäre, der ein Leistungsgebiet des Ostens besetzte. Da, wo Identifikationsfiguren fehlten, kam plötzlich jemand, der jung, spontan und unverbraucht denen die Butter vom Brot nahm. 1967 war das noch eine Konfrontation, die den Alltag definierte.
Nicht daß die junge Frau zum Glamourgirl getaugt hätte, wie zuvor die Sprinterin Jutta Heine, aber die Studentin der Geisteswissenschaften war beredt, kam optisch völlig anders rüber als die jahrelang dominierenden und schließlich an der Einführung der Geschlechtskontrolle gescheiterten russischen Geschwister Tamara und Irina Press. Da kam sehr viel zusammen, was sich in diesem Lebensgefühl zentrierte und das Besondere der Diskus-Liesel ausmachte, die ich dann ja relativ lange geblieben bin. Zum Beispiel, daß die Liesel stets war, was die 60er schmückte und schleunigst zum Markenbegriff wurde: „fröhlich“.
Fröhlich, sagt Liesel Westermann, sei sie tatsächlich gewesen und ist sie heute noch. Fröhlichkeit ist allemal eine gute Basis, um sich auf den Weg in die Politik zum machen. Fröhlich ist sie also vergangenes Jahr im Wahlkreis Solingen in den Bundestagswahlkampf gezogen, besser: „zum Jagen getragen worden“. Beim „Gerangel um den Listenplatz“ fand sich die Neue „plötzlich allein“ und also chancenlos. Diesmal ist es der Landtag, sie ging ran mit dem Wissen, du mußt dich aktiv einbringen, und steht also auf dem optimalen Platz zehn.
Nicht, daß sich die Partei nun ausdrücklich mit ihr schmückte, im Gegenteil. Ich merke schon, daß die politischen Insiderzirkel ihre Probleme haben, mit mir umzugehen. Die denken, da kommt eine und will auf dem Podium der Leistungen vergangener Zeit ... Was hat das miteinander zu tun? Sport und Politik?
Ist eine prima Frage, die allenthalben gern gestellt wird. Und so ähnlich, als früge man: Was hat das miteinander zu tun? Politik und Integrität? Die Diskuswerferin Westermann, so sehr sie auf der einen Seite als Metapher westlicher Überlegenheit im Wettbewerb der Systeme gebraucht wurde, steht auf der anderen auch für das unbedingte Integre. Der vormaligen Diskuskameradin und heutigen Dopingbekämpferin Brigitte Berendonk gilt sie als „letzte ungedopte Weltrekordlerin“ im Diskuswerfen. 1968 und 1969 stellte sie noch einige Weltrekorde auf, ehe der Osten, und nicht nur der, hormonell gestärkt zurückschlug.
Ich hatte schon Kenntnis, daß meine Mitbewerber mit anderen Methoden Leistungen erreichten. Aber ich habe den anderen Weg gesucht, und es wäre auch gelungen, wenn die politische Situation mich nicht destabilisiert hätte.
München 1972 war das, die Programmzeitschriften hatten Silber fest einkalkuliert. Der erste Wurf wäre olympischer Rekord gewesen, den hab ich leicht übergetreten. Bei mir war jede Spannkraft durch das Attentat weg. Wir haben die Israelis gekannt, ich war total am Boden. Danach war Schluß. Ich hab nur geheult.
Platz fünf paßte den medaillenabhakenden Funktionären gar nicht in einen Plan, der die negative Beeinflussung durch außerplanmäßige Umstände nicht vorsah. Schon 1968 in Mexiko hatte die große Favoritin die geforderte Goldmedaille nicht abliefern können. Als Liesel Westermann den Ring betrat, hatte just ein orkanartiger Regen eingesetzt. Ich hab im Regen drei, vier Meter weiter geworfen als alle anderen, aber es hatte eben eine einen trockenen Versuch. Das ist kein gerechter Wettkampf, aber letztlich das, was den Sport interessant macht. Was die Mannschaftsbetreuung für Medaillengewinner an Präsenten hatte, wurde mir am nächsten Tag von der Sekretärin gebracht. Wenn ich Gold gewonnen hätte, wären sie alle besoffen gewesen.
Liesel Westermann hat sich keine Freunde gemacht unter den Sportfunktionären. Und als dann vor Montreal einer zu ihr sagte: „Wie, du nimmst keine Anabolika? Dann bist du selbst schuld“, war Schluß mit fröhlich. Längst nicht mehr die Beste, doch die „beste Werferin der westlichen Welt ohne Doping“ (Westermann), durfte sie nicht nach Montreal, weil Funktionäre eine Weite von ihr wollten, die clean nicht machbar war. Als Scheitern hat sie die verpaßten Goldmedaillen nie verstanden, auch mit den fremden Mächten nicht gehadert, ist nur bockig geworden, wenn die ihr entgegengehaltenen Werte nicht die ihren waren.
Wenn eine Kristin Otto [fünfmal Schwimm-Gold in Seoul, Anm. d. Red.], die das ZDF als Moderatorin präsentiert, sagt, sie habe damit nie etwas zu tun gehabt, komme ich damit nicht so gut klar. Vor der Biathletin Antje Misersky ziehe ich den Hut. Das verstehe ich nicht, warum die nicht zu Idolen aufgebaut werden, die sich nachweislich verweigert haben und danach die Herausforderung noch einmal neu angenommen und olympisches Gold gewonnen haben.
Daß diese Verfügbarkeit schnell in eine problematische Romantisierung des Sports mündet, sagt die Frau, die selbiges erfahren hat, ergibt sich so. Das ist die Besitznahme derer, die den Identifikationspunkt suchen. Das ist auch kein nationales Phänomen, sondern ein internationaler Wunsch, den jeder Mensch hat: kräftig zu sein, zäh, vital, dynamisch, den Anforderungen des Lebens gerecht zu werden und letztlich noch einen draufzusetzen.
Nicht egal, mit welchen Mitteln allerdings. Sie selbst, sagt Liesel Westermann, war nicht in Versuchung. Vielleicht hatte ich wegen des absoluten Höhepunkts von 1967 die Gelassenheit zu sagen: Ich probier's auf meine Art. Gilt auch für die jetzige Herausforderung. Fürs Ränkespiel, hat sie gesagt, sei sie nicht gebaut und sich daher die konsequente Frage gefallen lassen müssen: Was willste dann in der Politik?
Ich werde gucken, wie weit ich mit Geradlinigkeit komme. Eine Erfahrung, die mich der Sport gelehrt hat: Zufriedenheit und Erfüllung kriegt man nicht, wenn man nur die ganz großen Ziele anstrebt. Man muß schon im Bereich des Machbaren bleiben. Es wachsen nirgends die Bäume in den Himmel, Liesel Westermann lacht, ... wenn man nicht mit Anabolika dopt.
Auf der Terrasse im geräumigen Garten der Westermann- Kriegs läßt sich das Leben aushalten. Der Wohnort Solingen-Ohligs ist ländlich und ruhig. Das Ganze „eine Lebensentscheidung, die man trifft und für die man auf manches verzichtet“. Die Oberstudienrätin Westermann unterrichtet am Solinger Gymnasium Vogelsang Sport und Erziehungswissenschaften, ihr selbstgewähltes Thema in einem wenig aufregenden Wahlkampf war Jugend- und Sozialpolitik. Der Sport ist immer dabei. Längst ist sie Vorsitzende im Bundesfachausschuß Sport. Daß das Wort Sport im Maastrichter Vertrag nicht vorkommt, ärgert sie. Willi Weyer, einst FDP-Innenminister in Nordrhein-Westfalen, höchster Sportfunktionär der Republik und Drahtzieher des Olympia-Boykotts 1980, hat ihr gezeigt, daß Sport und Politik nicht inkompatibel sind.
Sport ist das Mittel, das unsere Gesellschaft ad hoc zur Gewaltprophylaxe zur Verfügung hat. Glaubt sie und ist wochenlang über ihren Wahlkreis Solingen-Stadt hinaus über Land gezogen und hat Basketballkörbe installieren lassen.
Das ist ein Versuch, Angebote für 9- bis 14jährige zu machen. Da gibt es nichts. Sie fallen, wo sie sich nach draußen wagen, nur als Störfaktor auf. Sich mal eben auszutoben, sich körperlich auszuleben, da denkt man zu wenig dran. Ich hab zur Zeit keine bessere Idee als diese Streetball-Sache.
Und die Partei ist begeistert? Daß man Antworten finden muß, auf die Ängste der Bürger, da, glaube ich, finde ich schnell Zustimmung. Für solche einfachen Ideen ist das ein hartes Stück Arbeit. Aber jeder Korb, der irgendwo installiert wird, zeigt mir, daß es geht. Wenn nur fünf Kinder was davon haben, dann ist das schon mehr, als wenn ich in irgend welchen Gremien klug daherschwätze.
Der Ehemann ist im übrigen SPD-Mitglied, doch Liesel – es kann, auch weil die Frage „Fünf oder keine fünf Prozent?“ morgen abend über ihre politische Zukunft entscheidet, nicht länger nur angedeutet werden – FDP!
Als Aushängeschild des Sports hab ich nur gute Erfahrungen mit FDP-Politikern gemacht. Die gingen nämlich nicht, wenn die Scheinwerfer aus waren.
Im Unterricht hat sie neulich die SchülerInnen aufgefordert, eine schlechte und eine gute Nachricht den Medien zu entnehmen. Da, sagt sie, kamen Terrorattentate, Unglücke hier und da, und dann brachten mir ein paar Kinder als gute Nachricht, Liesel Westermann muß lachen: Michael Jordan spielt wieder!
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