: SPD am Mittelweg
Bei der Wahl muß Rot-Grün eine satte Mehrheit erringen, sonst droht eine große Koalition ■ Aus Bremen Jochen Grabler
Am Sonntag wird gewählt, und die Bremer SPD hat große Sorgen: Was soll aus der Partei werden? Seit mehr als 40 Jahren thront sie im Rathaus, bis vor vier Jahren verankert durch eine satte absolute Mehrheit, seitdem abgestützt durch eine Koalition mit FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Doch ein solches Dreierbündnis will in Bremen keiner mehr, aber was dann? Nach einem eher müden Wahlkampf im wirtschaftlich ausgepowerten Bremen sind Wahlausgang und Zukunft der SPD so ungewiß wie noch nie. Und das liegt an ihr selbst. Denn die politische Welt drumherum hat sich festgelegt. CDU, FDP und die Wählervereinigung „Arbeit für Bremen“ (AFB), ein Sammelbecken frustrierter SPD-Mitglieder vom rechten Parteirand, träumen von einer bürgerlichen „Sanierungskoalition“. Die Grünen wollen mit den Roten. Nur die wissen nicht so recht.
Aus gutem Grund: Nach dem Scheitern der Ampelkoalition und unter dem Druck einer maroden Wirtschaft, schwindsüchtiger Staatsfinanzen und der unerwarteten AFB-Konkurrenz hat die SPD mit Bürgermeister Klaus Wedemeier am Steuer die Koalitionsdiskussion weiträumig umschifft. Das Kalkül: Wer sich jetzt an die Grünen kettet, riskiert am rechten Rand der Partei wahre Erdrutsche. Nach der Wahl müßte schon eine satte rot- grüne Mehrheit zusammenkommen, damit dieses Wagnis eingegangen werden könnte. Zehn Stimmen Mehrheit, sagen die Ängstlichen, acht die Mutigen. In der letzten Bürgerschaft hatte Rot- Grün eine Mehrheit von vier Stimmen – rechnerisch, denn die SPD- Fraktion traute sich in dieser Frage selbst keine Geschlossenheit zu.
Das Bündnis 90/Die Grünen blickt scheel auf diese sozialdemokratische Wackelpolitik. Zu gerne hätten sie, allen voran Exumweltsenator Ralf Fücks, die Stadt polarisiert: Hier das rot-grüne „ökologisch-soziale Reformprojekt“, dort die schwarz-gelb-graue „Betonkoalition mit den Rezepten der sechziger Jahre“. Elf Prozent erreichten die Grünen vor vier Jahren, jetzt rechnen sie mit leichten Zuwächsen. Noch vor Jahren wäre es nur schwer denkbar gewesen, daß die Grünen in einer derart zugespitzen ökonomischen Lage viele Stiche bekommen würden. Bremen liegt am Boden. Trotz der Milliardenspritzen aus Bonn ist das kleinste Bundesland ökonomisch kaum vorangekommen. Das Sanierungsprogramm für die mit gut 17 Milliarden hoffnungslos überschuldeten Staatsfinanzen steckt in einem Dilemma. Just als die Sanierung beginnen sollte, rauschte Bremen in eine tiefe Rezession, die Steuereinnahmen blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Schon jetzt zeichnet sich ab: Wenn die Sanierung im Jahr 2004 mit den letzten Bonner Zuschüssen abgeschlossen sein wird, wird Bremen ungefähr da angekommen sein, wo es losgegangen ist. Und die Arbeitslosenquote liegt nach wie vor bei über 14 Prozent.
Das Thema des Wahlkampfs lautet Stärkung der Wirtschaftskraft und Sparen im öffentlichen Haushalt – und die Grünen sind mittendrin in der Debatte. Sie setzen auf Zukunftstechnologie, neue Märkte im Umweltschutz. Trotz grünem Kompetenzzuwachs schreien die Wirtschaftskapitäne jedoch nach wie vor Zeter und Mordio, wenn der grüne Vormann Fücks auftaucht. Sie setzen voll auf den Bürgerblock aus CDU, FDP und AFB. Doch die Grünen haben nicht nur mit dem Mißtrauen aus dem Unternehmerlager zu kämpfen. Am linken Rand ist der Öko- Partei mit der PDS eine Konkurrenz erwachsem, die einige Prozente kosten dürfte. Gemessen an ihren gerade mal 60 Mitgliedern hat die PDS einen hochwirksamen Wahlkampf mit massiver Osthilfe betrieben. Und er kam an, vor allem bei den Jungwählern. Als sich Ralf Fücks und Gregor Gysi in der Uni über die Frage stritten, ob die PDS nicht Rot-Grün verhindere, da flogen dem Superstar aus dem Osten die Studentenherzen zu. Oppositionsrhetorik schlug landespolitische Kompetenz. Gleichwohl ist es mehr als unwahrscheinlich, daß die PDS bei ihrem großen Anlauf auf ein Westparlament die Fünfprozenthürde überspringt. Umfragen zufolge liegt die PDS bei drei Prozent. Gerade die marode Bremer Wirtschaftslage und Bindungsschwächen der SPD nach rechts waren die Geburtshelfer der AFB. Angeführt wird die Truppe vom Sparkassendirektor Friedrich Rebers. Der war knapp 40 Jahre lang Mitglied der SPD, bis zu diesem Frühjahr. Die AFB setzt voll auf klassische Wirtschaftspolitik. Ansiedelung neuer Betrieb durch großflächige Gewerbegebiete und Straßen, Straßen, Straßen. Sie allein würden die Sanierungsinvestitionen schon auffressen. Wo das Geld herkommen soll – in Bremen heißt das immer, wo es weggenommen werden soll – dazu schweigt sich die AFB aus. Am rechten Rand rührt sich nichts mehr: Die rechtsextreme DVU, vor vier Jahren noch mit sechs Abgeordneten ins Parlament eingezogen, hat sich durch interne Querelen und Selbstbereicherung an Parlamentsgeldern politisch selbst kaltgestellt. Ihr Potential an Protestwählern wandert nach Meinung vieler Beobachter vor allem zur AFB ab. Die DVU ist nicht das einzige Revier, in dem die AFB erfolgreich auf Stimmenfang geht: Auch die CDU muß um ihre Wähler fürchten. Ihr Spitzenkandidat Ulrich Nölle hatte bei der letzten Wahl noch respektable 30 Prozent in der christdemokratischen Diaspora Bremens eingefahren.
Bei der FDP wird es am Sonntag ohnehin viele schweißnasse Hände geben, denn die letzten Umfrage ergaben für sie in der Stadt Bremen gerade noch vier, in Bremerhaven sogar nur um die drei Prozent der Stimmen. Im Endspurt zur Urne greifen die Liberalen auf ein altbewährtes Argument zurück: „Ohne uns kein Wechsel.“ In der Tat, wenn die FDP rausfliegt, dann ist die bürgerliche Koalition perdu und Rot-Grün fast nicht mehr zu verhindern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen