: „Das Schreien hat mich genervt..“
■ Kindesmißhandlung - eine Tagung
Ein Notfall im Zentralkrankenhaus (ZKH) „Links der Weser“: Ein Vater brachte seinen wenige Monate alten Sohn in die Notaufnahme. Diagnose: schweres Hirntrauma. Die Hilfe kam zu spät, der Säugling starb. „Das Schreien hat mich genervt“, erklärte der Vater später. „Da habe ich ihn kräftig geschüttelt.
Eine Kurzschlußreaktion - nicht zu entschuldigen, aber erklärbar. Der junge Vater hatte gerade seine Arbeit verloren. Angst, die Ansprüche der Familie nicht erfüllen zu können, stießen ihn in eine persönliche Krise, machten ihn dünnhäutig. Die anhaltenden Schreie des Kindes konnte er nicht mehr ertragen. Er fühlte sich überfordert. Die Katastrophe passierte.
Kein Einzelfall. Das wurde am vergangenen Sonnabend auf der Fachtagung zum Thema „Vernachlässigung und Mißhandlung von Kindern“ im ZKH Ost deutlich. Eingeladen hatten zwei Mediziner, die täglich mit den Folgen von Gewalt gegen Babys, Kinder und Jugendliche konfrontiert werden. Hans-Jürgen Bachmann , Leiter der Kinderklinik im ZKH „Links der Weser“ und Arno Richard, Chef der Kinder- und Jugend-Psychiatrie/Psychotherapie im ZKH Ost. Ihre Anliegen: Hintergründe der Mißhandlungen aufklären und Möglichkeiten der Prävention aufzeigen.
Daß dieses Thema interessiert, zeigte die gebannte Konzentration der knapp 70 KinderärztInnen, SozialpädagogInnen, PsychologInnen und JuristInnen. Im überfüllten Konferenzraum blieb einigen nur der Platz auf dem harten Fußboden.
Mißhandlung, so machte Wolfgang Ihle vom „Zentralinstitut für seelische Gesundheit“ in Mannheim deutlich, sei oft kaum sichtbar. Ständiges Schimpfen, wenig Lob, Vermeiden von Körperkontakt sind Beispiele ablehnender Verhaltensweisen. Die Opfer: Säuglinge und Kleinkinder. Folgen: körperliche und psychische Enntwicklungsstörungen. Die Vernachlässigung des Kindes kann noch massivere Auswirkungen haben. Etwa, wenn der Sprößling nicht regelmäßig gefüttert wird oder der notwendige Arztbesuch ausbleibt.
Die „Täter“ kommen aus allen sozialen Schichten. Individuelle Lebenserfahrungen wirken hier nach. Wer selber als Kind oft Schläge einstecken mußte, dem rutscht die Hand eben leichter aus. Dennoch gibt es Einflüsse, die Gewalt gegen Kinder begünstigen. „Vernachlässigungen und Mißhandlungen treten in der Gruppe der sogenannte „Armen“ vergleichsweise häufiger auf“. Nichts Neues aus dem Mund von Peter Kürner, Landesvorsitzender des Kinderschutzbundes in Nordrhein-Westfalen. Neu waren allerdings die aktuelle Zahlen zur Bremer Armut. Die kamen von Klaus Jakubowski, Sozialwissenschaftler der Angestelltenkammer. Er rechnete vor, daß Anfang 1995 knapp 180.000 Menschen in der Hansestadt in ärmlichen Verhältnissen leben – geprägt von Arbeitslosigkeit, beengtem Wohnraum und Abhängigkeit von Sozialhilfe. Und: Mehr als 19.000 sind jünger als 18 Jahre.
Was ist zu tun? Das Stichwort heißt „Vorbeugung“. Ziel präventiver Maßnahmen müssen zunächst die Eltern sein. Motto: Helfen, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Wie ein Hilfsystem funktionieren kann, zeigt das Beispiel Hamburg. Ein Netz von 23 „Elternschulen“ bietet jungen Eltern Hilfen, den Alltag zu organisieren. Unter einem Dach arbeiten ÄrztInnen, SozialpädagoInnen, ErzieherInnen zusammen. Sie beraten, informieren bieten Arbeitsgruppen an. Ziel: Eltern das Wissen an die Hand geben, damit sie ihr Kind verantwortungsvoll aufziehen können. Durch Stadtteilkonferenzen stehen die MitarbeiterInnen der Elternschulen mit Vertretern sozialer Dienste und freier Träger in Verbindung. Ein Garant für konzentrierte, erfolgreiche Hilfe.
Das Beispiel wird vielleicht bald in Bremen kopiert. Tagungsinitiator Arno Richard: „Wir denken über den Aufbau einer Eltenschule nach.“ Der Kontakt zu den jungen Eltern könnte über Hebammen geknüft werden. Hilfe, die dringend erforderlich ist. In der Kinderpsychiatrie im ZKH Ost steigen die PatientInnenzahlen. abe
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