: Knappe Mehrheit für Rot-grün
■ Rot-grün haarscharf vorn / Erdrutsch bei der SPD / FDP hat ausgepiept / AfB zweistellig marschiert auf Rot/Schwarz
Wie schon vor dreieinhalb Jahren muß die SPD einen Erdrutsch bei der WählerInnengunst verkraften. Wie schon vor dreieinhalb Jahren gewinnt die CDU einige Prozentpunkte dazu. Wie schon vor dreieinhalb Jahren gewinnen die Grünen dazu. Wie schon vor dreieinhalb Jahren gibt es eine knappe Mehrheit für rot/grün – und doch ist alles anders. Und das liegt nicht allein am erwarteten Scheitern der DVU. Die FDP ist weit unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde gelandet, und der Erfolg der AFB reicht zusammen mit der CDU nicht für eine Wende in Bremen.
„Ich bin Schuld“ – bei der SPD-Wahlparty wurden schon bald nach der Stabilisierung des verheerenden Wahlergebnisses bitter-zynische Buttons verteilt. „Ohne Tabus“ müßte jetzt auch die Personalfrage gestellt werden, sagte der UB-Ost-Vorsitzende Wolfgang Grotheer (s. Interview Seite 22). Die SPD landete mit ca. 33 Prozent beim schlechtesten Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg. Beim letztenmal war die SPD unter Klaus Wedemeier schon von 51 auf knapp 39 Prozent abgerutscht. In den Hochburgen habe die Partei nicht so mobilisieren können, analysierte Klaus Wedemeier. Daher die geringe Wahlbeteiligung, und: „Wir haben das Ende der vergangenen Koalition mit bezahlt.“ Zu den Folgen, auch zu den persönlichen, dieser erneuten Schlappe mochte sich der Bürgermeister lieber nicht abschließend äußern.
Das war unisono die häufigste Auskunft bei Wahl-Auswertung in der Bürgerschaft: erstmal ausschlafen und in den Gremien beraten.
Scheinwerferspots, Häppchen, TV-Geräte, provisorische Radio- und Fernsehstudios und lachende, schwitzende und solche Menschen, die die Welt nicht mehr verstehen - der Mix, aus dem Wahlkampfabende in der Bürgerschaft bestehen. Ein Getümmel, in dem die Spannung bis zum späten Abend andauerte. Erklärungen und Einschätzungen des knappen Ergebnisses gab es trotzdem reichlich.
Claus Dittbrenner (bisheriger SPD-Fraktionschef) schmerzt das schlechte Abschneiden seiner Partei. Zur rot-grünen Überlebensfähigkeit: „Ob die rein rechnerische Mehrheit aussreicht, werden die politischen Verhandlungen ergeben.“
Martin Thomas (Bündnis 90/Grüne) setzt auf sozial-ökologische Reformpolitik. Sein ökonomisch-realitisches Statement: „Bremen braucht jetzt Stabilität und das geht nicht ohne einen Kassensturz.“ Im Jahre 1991 hatte er nach dem Wahlergebnis einen Wechsel an der Spitze der SPD gefordert, das traut er sich heute offenbar nicht mehr. Seine guten Wünsche gehen in Richtung CDU und AFB: „Ich hoffe auf eine aktive Oppositionspolitik.“
Elke Kröning vom Shouting-Star AFB: „Ein bombiges Ergebnis für uns, auch wenn wir nicht mitregieren können.“ Zur SPD: „Eine persönliche Niederlage von Klaus Wedemeier.“ Sie differenziert zwischen Bundes-SPD und Bremer SPD, nur letzere hat verloren - auf jedem Fall also keine Schlappe für Ehemann Volker, Ex-Finanzsenator und mit mehr als 40 Prozent der Stimmen als Direktkandidat jetzt im Bonner Bundestag.
Reaktion der SPD-Landesvorsitzenden Tine Wischer, die sich als erste vor die Kameras getraut hatte. „Wir wollten hinzugewinnen. Das haben wir nicht geschafft. Insofern haben wir verloren.“
„Ein großartiger Tag für die CDU“, meinte deren Landeschef Bernd Neumann, um dann artig seinen Diener vor dem Kanzler zu machen, der der Landespartei „großartig geholfen“ habe. Um dann einen kräftigen Anlauf in Richtung großer Koalition zu unternehmen: „Ohne die gestärkte CDU ist eine neue Regierung nicht möglich.“ So klar mochte sich CDU-Spitzenkandidat Ulrich Nölle nicht äußern, der wie ein siegreicher Matador vor die Kameras in der Bürgerschaft gezogen war. Ganz wie der Bürgermeister wollte er erstens das amtliche Endergebnis und zweitens die Beratungen der Bundes- und Landesgremien seiner Partei abwarten.
Noch schlimmer gebeutelt als die SozialdemokratInnen war gestern abend nur die FDP, und da ganz besonders Noch-Wirtschaftssenator Claus Jäger. Die FDP hat ausgepiept. Steingrauen Gesichts mußte Jäger schon bald nach 18 Uhr seine vernichtende Niederlage einräumen.
Da strahlten die Grünen schon eher gemischte Gefühle aus – trotz der Zugewinne. Das hatten sie sich alles so schön ausgerechnet: Wenn die FDP aus dem Rennen wäre, dann sei die Mehrheit für das rot/grüne Wunschergebnis so sicher, daß auch die ärgsten SkeptikerInnen nicht auf eine große Koalition umsteigen könnten. Glatt verrechnet. Nun war die FDP zwar draußen, aber mit einer derartigen Schlappe für die SPD hatte bei Grüns niemand gerechnet. Und doch schien die Marschroute des Abends klar: So hauchdünn die Mehrheit für das sozial-ökologische Reformprojekt“ auch sein mochte – „Wir stehen zu unserer Wahlaussage, sagte gestern die grüne SpitzenkandidatIn Helga Trüpel.
Erwartungsgemäß draußen blieb die PDS, allerdings mit einem unerwartet schlechten Ergebnis. Lange Gesichter: Die Partei landete weit unterhalb ihres Bundestagsergebnisses bei knapp zwei Prozent. Daran sei der frühe Wahltermin und die Angst vor einem Rechtsbündnis schuld, meinte die Spitzenkandidatin Marina Stahmann. Trotzdem: „Das Ergebnis ist ein Signal, daß es möglich ist, als PDS in Bremen Fuß zu fassen.“ J.G.
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