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Wenn das Sozialamt spekuliert

■ Einer 75jährigen wurde die Betreuung ihres Mitbewohners streitig gemacht und ihr dann "in seinem Interesse" gekündigt / Wohl "Strafaktion im Interesse der Hausverwaltung" gegen politisch aktive Frau

Im Sozialamt Prenzlauer Berg gilt die 75jährige Ursula Hoeft als Querulantin, weil sie gegen ihre Absetzung als Betreuerin und die Einweisung ihres 68jährigen Mitbewohners Herbert G. in die psychiatrische Klinik Herzberge protestierte. Nun wurde ihr von der Behörde die Quittung präsentiert: „Im Interesse unseres Betreuten“ wurde Ursula Hoeft vom Sozialamt fristlos das Untermietverhältnis in der gemeinsamen Wohnung gekündigt.

Ein Stück aus dem Tollhaus, bei dem das Sozialamt Prenzlauer Berg offenbar von Anfang an Regie führte. Seit einer Hirnoperation vor zwanzig Jahren, bei dem ihm das Kurzzeitgedächtnis entfernt wurde und er unter epileptischen Anfällen leidet, wird Herbert G. von Ursula Hoefft betreut. Aus der Betreuung wurde eine eheähnliche Gemeinschaft. Ursula Hoefts Vollmacht zur Betreuung rührte noch aus DDR-Zeiten, ein Umstand, der ihr auch nach der Wende nicht streitig gemacht wurde.

Bis im Juli vergangenen Jahres der sozialpsychiatrische Dienst neben Frau Hoeft eine Rechtsanwältin aus Westberlin als Betreuerin einsetzte. Als Grund vermutet Ursula Hoeft ihre Streitigkeiten mit dem Vermieter der gemeinsamen Wohnung, der Firma „Garanta“. Die politisch aktive Ursula Hoeft hatte die Miete gemindert, woraufhin von der Garanta das Mietverhältnis gekündigt wurde. Ein Konflikt, der zunächst beigelegt schien, nachdem Ursula Hoeft die geforderten Rückstände nachgezahlt hatte.

Im Februar dieses Jahres wurde Ursula Hoeft plötzlich mitgeteilt, daß das Sozialamt Prenzlauer Berg die Betreuung von Herbert G. übernimmt. Der zuständige Mitarbeiter in der Verwaltung hatte bereits Nägel mit Köpfen gemacht und in der psychiatrischen Klinik Herzberge ein Bett für einen „verwahrlosten“ Patienten in Lebensgefahr bestellt. Das alles war schlichtweg Unsinn, wie sich herausstellte.

Seit seiner Entlassung in Herzberge wird Herbert G. nun von einer Sozialstation betreut, wo er sich laut Frau Hoeft „sichtlich nicht wohl fühlt“. Weil er sich gegen die Betreuung in der Sozialstation handgreiflich zur Wehr gesetzt hatte, wurde Herbert G. vor kurzem erneut nach Herzberge eingeliefert. Diesmal in die geschlossene Abteilung.

Mit welchen Argumenten das Sozialamt die Übernahme der Betreuung beantragt hatte, ergibt sich aus dem entsprechenden Beschluß des Landgerichts vom Februar dieses Jahres. In der Begründung heißt es, daß im Betreuungsantrag des Sozialamts darauf hingewiesen worden sei, daß Frau Hoeft „die Aufforderung zur Räumung der Wohnung durch die Hausverwaltung Garanta nicht entgegengenommen habe, daß aber der Eigentümer in jedem Falle die Räumung durchziehen wolle, weil er mit Frau Hoeft nichts mehr zu tun haben wolle.“

Nicht nur Ursula Hoeft, sondern auch die Kiezinitiative „Wir bleiben alle“ am Helmholtzplatz sieht die Übernahme der Betreuung durch das Sozialamt und die nunmehrige fristlose Kündigung als „Strafaktion im Interesse der Hausverwaltung“ an. Auf Drängen der Initiative hat nun der Sozialstadtrat des Prenzlauer Bergs, Reinhard Kraetzer, die Einsetzung eines „runden Tischs“ zugesagt. Uwe Rada

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