: Bin schon fast satt
■ Im besten Sinne unerträgliches Theater: Reza Abdoh, Regisseur moderner Greuel, Mythen und Todessehnsüchte, starb in New York
Sein Theater wurde oft mit einem Fegefeuer und Konzentrationslager verglichen. Zeitlebens war der 1964 in Teheran geborene Reza Abdoh von obsessiver Sehnsucht getrieben. Er glaubte an eine körperliche Existenz nach dem Tod. Freuds Beschreibungen des Todestrieb schienen ihm dies nahezulegen. Todesgläubig fand er in allen Spuren des Lebendigen die Sehnsucht nach Entleibung.
Die Lust an der Malträtierung – im Krieg durch Folter und Völkermord, im Frieden durch die Lust an der kosmetisch-operativen Behandlung des Körpers, der Manipulation durch Drogen, der zirzensischen Feier des Mordes und der Gewalt in Kino und Fernsehen – das alles schienen ihm Zeichen eines unbewußten menschlichen Todestriebes, der in den Medien mit Lust dargeboten, im Theater aber als Schrecken der Unmittelbarkeit abgelehnt wird. Mit Vorliebe hätte er Shakespeares herausgerissene Zungen, verstümmelte Arme und geblendete Augen des Morddramas „Titus Andronicus“ inszeniert, wären dies die Kriegsmethoden der Gegenwart gewesen. Denn an deren Greuel und Mythen hielt sich Reza Abdoh.
Einer seiner Protagonisten war der amerikanische Homosexuellenmörder Jeffrey Dahmer. In Abdohs „The Law of Remains“ (Das Gesetz der sterblichen Reste) von 1992 versuchte er den mit voyeuristischem Ekel von den Medien beobachteten Serienmörder, der siebzehn junge, meist farbige Homosexuelle zwanghaft ermordete und deren Leichen mit einer Kettensäge zerkleinerte, ein obszönes Denkmal zu setzen. Abdoh ließ Dahmer, die Theaterfigur, unter Blutströmen nochmal und nochmal sein Opfer ermorden und ihn schließlich im „Himmel“ auf den todessehnsüchtigen Andy Warhol treffen. Im klinisch weißen Himmel, umgeben von zahllosen Kühlschränken, in denen Dahmer seine Opfer verbarg, um deren Herz zu essen, fragte Warhol den Mörder: „Wie fühlst du dich, Jeffrey?“ Mit gläsernen Augen, wie abwesend, antwortete Dahmer: „Schade, daß du erst jetzt kommst, Andy. Ich bin fast schon satt.“
Abdohs Theater war im besten Sinne unerträglich. Auf einem Video zeigte er die Präparation einer menschlichen Leiche – die Haut wurde über dem Herzen in drei kühlen Schnitten aufgetrennt, die Eingeweide abgeklemmt und vom Hals herauf die Kopfhaut abgezogen. Ein medizinisches Lehrvideo, dazu geeignet, den Blick von der Bühne abzuwenden, aber auch dazu brauchbar, das „Theater der Grausamkeit“ mit einem seltsam aristotelischen Begriff von „Furcht und Mitleid“ zu verbinden.
Reza Abdoh liebte das Zirzensische der Effekte, „Kyrolan Spezialfilmblut dunkel“ verbrauchte er literweise. Aber in den Interviews, die er bereitwillig gab, sprach er mit bestimmter Stimme liebend gern von Moral, von Läuterung und leugnete sogar vehement, daß dieses Theater heutzutage noch irgend jemanden schockieren könne. Er hoffte im Gegenteil sogar auf eine „feierliche Stimmung der Gefühle“, auf ein Theater, das durch wiedererkennbare Gewalt zur Katharsis fähig wäre.
In der Tat war sein Inszenierungsstil zu minutiöser Gewalt auch gar nicht fähig. Zu sehr faszinierten ihn die Medien, die Geschwindigkeit des Bildschnitts, die Überfülle an redundanter Information. Alles, was er zu zeigen vorgab, war, den Skandal als Vehikel dieser Medien auch dem Theater zu übereignen; ebenso die Geschwindigkeit und Gleichzeitigkeit der Ereignisse: Denn daß tatsächlich hinter einem Drahtzaun auf der Bühne ein Vibrator im Unterleib einer Frau verschwand oder sich die vierzehn Mitwirkenden seiner „Dar a Luz“ genannten (Licht gebenden, gebärenden) Gruppe schneller entblößten, als man hinschauen konnte; ob sie sich Dildos nun umschnallten und hilflose sexuelle Stellungsversuche unternahmen – gleich welches Tabu sie vor dem Publikum zu brechen trachteten, es geschah stets in der Geschwindigkeit eines Stakkato- Filmschnitts, eines schnellen Videocuts. Abdoh überwand durch die pure Gleichzeitigkeit der Ereignisse die Zensur der Empörung. Alles Anstößige vernichtete er in einem wütenden, nahezu akrobatisch beschleunigten Spektakel. Damit imitierte er die Medienwelt der Empörung, des Abscheus ebenso akribisch, wie er sich der Lust bediente, mit der alle kriegerische oder psychopathische Gewalt – ein Unterschied, den er nie begreifen wollte – den blanken Voyeurismus herausfordern. Für Abdoh war die Orgie des Obszönen und der Gewalt keineswegs ein Selbstzweck, im Gegenteil: Auch wenn er kein Anwalt der Tugenden war und er das Theater nicht als einen Schauplatz einer besseren Welt betrachtete, so suchte er mit Besessenheit, die sich durch seine Aids-Infizierung nur steigerte, nach einer Bühne ohne gleichgültiges Publikum. Das Theater, sagte er, sei der einzige Ort der Welt, wo Gewalt unerträglich sei, wo sie nicht domestiziert werden könne.
Reza Abdoh, Sohn eines iranischen Boxers und Bowlinghallenbetreibers und einer italienischen Mutter, zog mit seinen Eltern nach dem Ende des Schahregimes aus dem Iran nach England. Dreizehnjährig riß er von zu Hause aus, weil er, wie er sagte, die gelangweilte Brutalität seines Vaters nicht mehr ertrug. Bereits mit vierzehn begann er am England National Youth Theatre zu inszenieren, 1980 übersiedelte er in die USA. An der University of Southern California studierte er Film und realisierte seit 1986 zwölf Video- und Filmproduktionen. Für das Los Angeles Theatre Center erarbeitete Abdoh mehrere Theaterproduktionen. 1989 erregte er mit „Minamata“ erstmals internationales Aufsehen. Seine eigene Kompanie „Dar a Luz“ gründete Abdoh 1990 für die Arbeit an seiner „Bogeyman Trilogy“, dazu gehören „The Hip-Hop-Waltz of Eurydice“ (1990), „Bogeyman“ (1991) und „The Law of Remains“ (1992).
Seine letzten Tourneen unternahm er mit dem Familiendrama „Tight Right White“ und einer Puritanerkritik unter Gasmasken, „Quotations From a Ruined City“. Seine neue Produktion, „A Story of Infamy“, die er für die gerade stattfindenden Wiener Festwochen und das TAT Frankfurt erarbeitete, konnte er nicht mehr beenden. Reza Abdoh starb in der Nacht zum 11. Mai in New York. Arnd Wesemann
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