Wahlkampf für 80 Mark

Ob die ersten Parlamentswahlen Weißrußlands auch die ersten freien Wahlen sind, ist fraglich  ■ Aus Minsk Cezary Golinski

Gestern fanden in Weißrußland zugleich ein von Präsident Aleksander Lukaschenko initiiertes Referendum und die ersten Parlamentswahlen seit dem Ende der Sowjetunion statt. Ob der Urnengang auch die ersten freien Wahlen des Landes bedeutet, ist allerdings fraglich. Vorbehalte lösten vor allem drakonische Vorschriften für den Wahlkampf aus. Nach Ansicht von Beobachtern verletzen vom Präsidenten per Dekret festgelegte Einschränkungen teilweise die Wahlordnung. So durften die Kandidaten umgerechnet maximal 80 Mark für ihre gesamte Wahlkampagne ausgeben. Eine andere Vorschrift schränkte ihren Zugang zu den Medien ein. Der geringe Raum, der den Wahlen in den Medien eingeräumt wurde, reichte kaum aus, die Wähler über die Programme der Kandidaten aufzuklären.

Für die 260 Parlamentssitze bewarben sich fast 3.000 KandidatInnen. Wer von ihnen in das Parlament einziehen wird, stand gestern in den Sternen. Da die meisten Beobachter damit rechneten, daß es nur wenigen, sehr bekannten Kandidaten gelingen wird, im ersten Wahlgang mehr als die Hälfte der Stimmen der Wahlberechtigten ihres Wahlkreises zu erhalten, werden sich verschiedene Wahlgänge über Wochen hinziehen. Wenn in einem Wahlkreis keiner der KandidatInnen mehr als 50 Prozent der Stimmen erhält, findet nach zwei Wochen eine Stichwahl zwischen den beiden Bestplazierten statt. Beteiligen sich weniger als 50 Prozent der Wahlberechtigten eines Wahlkreises an der Wahl, ist sie ungültig und muß erneut stattfinden. Das System hat die Schwäche, daß bei mehreren Stichwahlen die Bevölkerung so genervt werden könnte, daß die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent sinkt, und dann müßte noch einmal gewählt werden. „Bei solchen Verhältnissen können Wahlen chronisch werden“, meinte der bisherige Nationalbankchef Stanislaw Bgdankiewicz. In seinem Wahlkreis lag der Mann Umfragen zufolge an der Spitze, jedoch nur mit 8 Prozent der Gesamtstimmen. Denn in seinem Wahlkreis sind zwölf KandidatInnen angetreten.

Hinzu kommt, daß sich auch die staatlichen Medien nicht besonders um die Wahlen gekümmert haben – und in Weißrußland sind fast alle Medien staatlich. Besonders das Lukaschenko untergeordnete Fernsehen tat alles, um die Bedeutung der Wahlen herunterzuspielen und zugleich die Gegner des Präsidenten durch den Kakao zu ziehen. Kurz vor den Wahlen wurde gleich zweimal ein Propagandafilm gezeigt, der die Vertreter der demokratischen Opposition mit weißrussischen Faschisten verglich, die während des Krieges mit den Deutschen kollaborierten.

Es herrscht kaum Zweifel, daß Lukaschenko an einem neuen Parlament nicht viel gelegen ist. Es genügt ihm, wenn sich die Wahlen hinziehen, während das bisherige Parlament weiterarbeitet. Seit die Polizei im April die Abgeordneten der Opposition aus dem Saal prügelte, haben die Abgeordneten wenig Lust auf Auseinandersetzungen mit Lukaschenko. Unter diesen Umständen sind die Wahlen eher eine Zugabe zu dem vom Präsidenten inszenierten Referendum. Die BürgerInnen sind darin aufgefordert, Russisch mit dem Weißrussisch als Staatssprache gleichzustellen. Des weiteren sollen die bisherige Nationalflagge und das Staatswappen durch sowjetische Symbolik ersetzt und die Integration mit Rußland vorangetrieben werden. Zudem hätte Lukaschenko von den BürgerInnen gerne die Vollmacht, künftig das Parlament aufzulösen.

Wochenlang haben die staatlichen Medien, in denen Lukaschenko ihm genehme Chefredakteure ernannt hat, die BürgerInnen darüber belehrt, wie sie in dem Referendum abstimmen sollen. Im Radio gab es Sondersendungen über die Vorteile, die daraus erwachsen, wenn man außer Weißrussisch auch noch Russisch spricht. Ob die Propaganda erfolgreich war, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Schätzungen zufolge wollten an dem Referendum etwa 67 Prozent der Abstimmungsberechtigten teilnehmen, dabei aber nur zwei Vorschlägen des Präsidenten zustimmen: 56 Prozent sollten demnach für die Gleichstellung des Russischen und Weißrussischen und 77 Prozent für die Annäherung an Rußland sein. Nur 33 Prozent wollten die bisherige weißrussische Symbolik durch die alte sowjetische ersetzen. 57 Prozent waren demnach mit Lukaschenko der Ansicht, der Präsident solle das Recht haben, das Parlament aufzulösen.