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Justizministerium kennt Gauck-Behörde nicht

■ Bei der Entschädigung der ehemaligen KZ-Aufseherin Margot Pietzner als Opfer des Stalinismus wurden belastende Akten der Gauck-Behörde einfach ignoriert

Berlin (taz) – Die Behörden, die der ehemaligen KZ-Aufseherin Margot Pietzner als Opfer des Stalinismus Haftentschädigung gewährten, haben offenbar doch schlampig recherchiert. Sie verzichteten auf eine Anfrage bei der Gauck-Behörde, obwohl sich dort belastende Unterlagen befinden. Wie am Wochenende auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg bekannt wurde, belegen diese Akten, daß Pietzner Häftlinge mißhandelt hat. Zugleich waren sich die Teilnehmer der Veranstaltung aber darin einig, daß das eigentliche Problem nicht der „Fall Pietzner“ ist, sondern die Ungleichbehandlung der Opfer- und Tätergruppen durch die Entschädigungsgesetze. Margot Pietzner, geborene Kunz, hatte kurz vor Kriegsende in KZ-Außenlagern in Wittenberg und Belzig gearbeitet. 1947 wurde sie von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Haft verurteilt, von denen sie 10 Jahre verbüßte. Dafür erhielt sie 64.350 Mark Entschädigung.

Das Bonner Justizministerium hat inzwischen einen 17seitigen Bericht vorgelegt. Darin werden alle Vorwürfe gegen das Ministerium und die für die Bearbeitung der Entschädigungsfälle zuständigen „Stiftung für ehemalige politische Häftlinge“ zurückgewiesen. Die bloße Zugehörigkeit zur SS reiche für eine Verweigerung der Entschädigung nicht aus, heißt es in dem Papier. Obwohl „alle derzeit bekannten Recherchemöglichkeiten zwischenzeitlich genutzt“ worden seien, lägen „nach dem jetzigen Stand der Erkenntnisse keine genügenden Anhaltspunkte dafür vor, daß Frau Pietzner Fremdarbeiterinnen mißhandelt hat“.

Ein völlig anderes Bild ergeben aber die Akten aus der Gauck-Behörde, bei der die Stiftung vor ihrer Entscheidung nicht angefragt hatte. „Keines dieser Dokumente liefert entlastende Anhaltspunkte“, erklärte Bernd Eisenfeld von der Gauck-Behörde. In Vernehmungsprotokollen der Kripo Wittenberg von 1946 werde Pietzner von Zeugen, die sich „außerhalb einer direkten Zwangslage“ befunden hätten, schwer belastet. Danach soll sie Häftlinge geschlagen und Meldungen erstattet haben. Zu der Tätigkeit als KZ-Aufseherin sei sie nicht gezwungen worden. Sie hätte nach einer vierwöchigen Probezeit ein Versetzungsgesuch stellen können.

Gerhard Fieberg, der im Justizministerium mit dem Fall befaßt ist, versicherte daraufhin, daß der Bericht noch keine abschließende Bewertung des Falles darstelle. Roland Bude von der „Stiftung für ehemalige politische Häftlinge“ machte aber deutlich, daß eine bereits ausgezahlte Entschädigung nur schwer zurückzufordern ist. Während sonst der Antragsteller beweisen muß, daß ihm die Entschädigung zusteht, liegt im Falle einer Rückforderung die Beweislast für Pietzners Schuld bei der Stiftung.

Der Autor Jörg Friedrich, Experte für bundesdeutsche Vergangenheitsbewältigung, bezweifelte aber, daß es auf die individuelle Schuld von Pietzner überhaupt ankomme. Entscheidend für die Entschädigung sei vielmehr die „Diskrepanz zwischen ihrer Schuld und einer übertrieben harten Strafe“. Das Verhalten der KZ-Aufseherin könne „im Gewalt-Ozean nur als Bagatelle abgetan werden, für die eine 10jährige Haftstrafe eine bestialische Strafe ist“. Selbst bei den rund 800 Verurteilungen wegen nachgewiesener NS-Tötungsdelikte habe der Strafrahmen nur zwei bis drei Jahre betragen. Friedrichs Fazit: „Der Pietzner-Debatte fehlt jedes Augenmaß.“

„Wenn wir diesen einen Fall nicht hätten, würden wir hier gar nicht drüber reden“, entgegnete der Berliner Abgeordnete und Bürgerrechtler Hans Schwenke. Welche grundsätzlichen Probleme die Pietzner-Entschädigung aufwirft, demonstrierte Günter Saathoff, Mitarbeiter der bündnisgrünen Bundestagsfraktion. Er kritisierte, daß in dem geltenden SED- Unrechtsbereinigungsgesetz die Unterscheidung zwischen wegen NS-Taten Verurteilten und politsch Verfolgten der DDR aufgehoben ist. Nach dem Gesetz würden die Verurteilten der Waldheim-Prozesse ausnahmslos rehabilitiert, selbst wenn sie Angehörige der Gestapo waren, während die Ausschlußklausel bei der Rehabilitierung von NS-Opfern so allgemein gehalten ist, daß die von Nazi-Richtern geprägte Rechtsprechung ganze Opfergruppen ausschließen konnte. Eine „Beleidigung für die Opfer des Nationalsozialismus“ ist es zudem, daß NS- Opfer für jeden Monat KZ-Haft nur 150 Mark Entschädigung erhalten, während DDR-Opfer mit 250 bis 550 Mark abgefunden würden. Diese Kritik teilten auch Verbandsvertreter der Verfolgten des Stalinismus: „Daß Frau Pietzner mehr Entschädigung bekommt als ihre Opfer, ist ein Skandal.“ Ralph Bollmann

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