: Picknick mit Benzinkanister
■ Die verlorene Schlacht um ein politisches Theater: Im Burgtheater wurde Turrinis „Schlacht um Wien“ uraufgeführt
Selbst der liebe Gott konnte „Die Schlacht um Wien“ nicht mehr zum Guten wenden. Peter Turrinis jüngstes Stück, das am Wiener Burgtheater in der Regie von Claus Peymann uraufgeführt wurde, fiel mehr oder minder durch. Turrini hat sich sein Entsetzen über den Zustand der Welt von der Seele geschrieben. Er empört sich über Gewalt von rechts genauso wie über die alltägliche Gewalt in den Medien oder in privaten Beziehungen, und er ist irritiert von der Geschwindigkeit des Lebens, die die moderne Technik dem Menschen aufzwingt.
Doch Entsetzen, Empörung und Irritation haben den Dichter nicht stark gemacht. „Die Schlacht um Wien“ ist ein Zeugnis beredter Sprachlosigkeit, Turrini fällt zurück in eine Sammlung moralischer Gemeinplätze. Seine Pointen sind durchschaubar, seine Strategien vorhersehbar. Was übrig bleibt, tilgt die Regie.
Burgtheater-Direktor Peymann nimmt dem Text, was ihn in der Lektüre noch rechtfertigt: Turrinis Sensibilität für den Menschen, seine Bereitschaft, mit den Kreaturen seiner Stücke mitzuleiden, in all ihrer Lächerlichkeit, ihren Obsessionen und Entstellungen menschliche Individualität zu erkennen. Er geht im harschen Ton über Turrinis humane Idyllen hinweg und will politische Knalleffekte initiieren, die vielfach gar nicht losgehen.
Mit einem naiv-ironischen Vorspiel auf dem Theater schafft Turrini eine poetische Distanz zum Gegenstand, die sich später verliert. Sein lieber Gott (Roman Kaminski), ein alter Mann mit weißem Bart, gütigem Blick und schweren Schritten, läßt Licht werden im Theater, läßt Pflanzen vom Schnürboden herunterwachsen und Tiergeschrei aus dem Laut
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sprecher schallen. Beim Menschen, so bedeutet die sakrale Clownerie, muß etwas daneben gegangen sein: der Lärm der nahen Autobahn ist zu hören.
Ein paar Exemplare der Gattung Mensch treffen sich in einem Wald in der Umgebung Wiens, um dort in schrecklicher Abwandlung eines Kinderspiels „Mörder und Asylant“ zu spielen. Zwei Wohlstandsbürger in Hawaii-Hemden packen Wohlstandsmüll aus dem Geländewagen: Picknick-Accessoires und – fürs spätere Vergnügen der „Gruppe Mörder“ – einen Kanister Benzin. Kirsten Dene und Johann Adam Oest gelingen hier vortreffliche Karikaturen.
Ein Cellist (Sylvester Groth) wiederholt ständig die gleiche Melodie und hegt Selbstmordgedanken. „Das junge Mädchen“ (Regina Fritsch) tänzelt umnachtet von einer vermutlich durch die Adoleszenz verursachten psychischen Störung durch Turrinis Zauberwald und „sucht das Schöne“. „Der kleine Mann“ (Robert Mayer) sitzt auf einem Baumstumpf und ißt unaufhörlich Wurstsemmeln.
Später werden die Figuren einander Gewalt zufügen und – wenn das unterdrückte Leben aus ihnen herausbricht – ihre Geschichte preisgeben. Wie so oft bei Turrini vermischen sich in den unterschiedlichen Lebensentwürfen Wunsch und Wirklichkeit, Sein und Schein. Im Gegensatz zu früheren Stücken wie „Alpenglühen“ erstickt der Autor seine Figuren diesmal aber mit polit-moralischen Klischees.
Der „alte Mann“ (Traugott Buhre) vegetiert als Faktotum im Theaterfundus, ist mal Fröhlich, der alte Nazi, dann wieder Isidor Bleibtreu, das jüdische Opfer. Doch ebenso wie die Figur des „Theaterdirektors“ (Martin Schwab) – mit der Peymann genüßlich eine Selbstkarikatur auf die Bühne stellt, in der sich der linke Theatermacher als zynischer Bourgeois entlarvt – scheint dieser „alte Mann“ etwas unbeholfen dem Zettelkasten Thomas Bernhards entsprungen zu sein.
Einzig im Selbstmordversuch der „Operettensängerin“ (Sabine Orléans) bringt Turrini etwas von der Gewalt und dem Schrecken des Sterbens zurück, der in der Voyeurperspektive der Medien verloren geht. Doch zuletzt mutiert sie zu einem shakespeareschen Puck und betrachtet, zur Rechten des lieben Gottes sitzend, gemeinsam mit diesem das grausige Geschehen des mißlungenen dritten Aktes, der vor larmoyanten Anklagen gegen Reality-TV und die Korruption der Medien trieft.
Nach drei Stunden wohlmeinender Langeweile knipst Turrinis Schöpfergott endlich das Licht wieder aus. Im Dunkel des Zuschauerraums, wo Begeisterung, Wut, Trauer oder Ergriffenheit herrschen sollte, macht sich Erleichterung breit. Der politische Mensch Peter Turrini hat sich mit seiner Ansprache „Liebe Mörder“ an die Spitze der moralischen Entrüstung über den rechten Terror gestellt. Der Autor Turrini sollte ähnliches leisten. Claus Peymanns Theater drängte Turrini in die Fußstapfen von Thomas Bernhard, den großen politischen Erzieher Österreichs. Beide sind daran gescheitert. Daß die rechte Presse und das reaktionäre Bildungsbürgertum Wiens auch diese Inszenierung Peymanns im Vorfeld skandalisierten, ändert daran nichts. Uwe Mattheiß
Peter Turrini: „Die Schlacht um Wien“. Regie: Claus Peymann. Burgtheater Wien. Nächste Aufführungen: 16., 17., 26. Mai
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