: Ist Waffenfetischismus ein Verfassungsrecht?
■ Nach landläufiger US-Meinung garantiert ein Zusatz zur US-Verfassung das Recht auf privaten Waffenbesitz – Verfassungsjuristen sehen das allerdings anders
Seit dem 27. Januar 1995 ist es amtlich: In den USA gibt es wieder mehr Tankstellen als Waffenhändler. Noch vor drei Jahren hatte das „Violence Policy Center“ – ein Forschungsinstitut, das sich mit dem US-amerikanischen Waffenfetischismus befaßt – festgestellt, daß sich der US-Konsument bei über 240.000 Händlern mit Waffen und Munition eindecken konnte, bei der Suche nach Sprit für das geliebte Auto aber nur 202.000 Tankstellen zur Auswahl hatte. Denn wer bis 1992 in das profitable Geschäft mit Waffen einsteigen wollte, mußte lediglich ein Antragsblatt ausfüllen und 30 Dollar Gebühr an das „Bureau for Alcohol, Tobacco and Firearms“ (ATF) überweisen – und auf die Zusendung der Lizenz warten. Erst seit dem Antritt der Clinton- Administration werden Waffenhändler etwas genauer unter die Lupe genommen: Die Zahl der Lizenzen – die alle drei Jahre erneuert werden müssen – sank auf 197.532. Die Tankwarte haben wieder die Oberhand.
Daß das ATF, offensichtliches Ziel des Bombenanschlages von Oklahoma City, nunmehr seine Rolle als Kontrollbehörde etwas ernster nimmt, ist nach Auffassung der US-Waffenlobby sowie zahlreicher Kongreßmitglieder Beweis für die fortschreitende Demontage des Rechtes auf Waffenbesitz, das nach herrschender Meinung von der US-Verfassung garantiert wird. Diese Auffassung teilt Bill Clinton mit der „National Rifle Association“ – und nach Einschätzung von Demoskopen mit der Mehrheit der Bevölkerung.
Nur diejenigen, die von Amts wegen für die Interpretation der Verfassung zuständig sind, sind anderer Meinung. „Da eine wohlgeordnete Miliz für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, soll das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht eingeschränkt werden.“ So lautet der Wortlaut des „Second Amendment“ zur US-Verfassung, das aus der Zeit des Unabhängigkeitskampfes gegen die Briten im 18. Jahrhundert stammt. Aber bis heute ist der Oberste Gerichtshof der USA nicht ein einziges Mal zu dem Schluß gekommen, daß damit das Recht des einzelnen auf Waffenbesitz gedeckt ist, geschweige denn die Gründung einer Privatarmee. Im Gegenteil: Nach herrschender Interpretation von Verfassungsjuristen und -richtern wird damit nur das Recht der einzelnen Bundesstaaten auf den Erhalt einer bewaffneten Truppe – die Nationalgarde – festgeschrieben, als Alternative zu einem stehenden Heer. Besondere Betonung liegt dabei auf den Worten „wohlgeordnet“, womit staatliche Kontrolle gemeint ist.
Die Frage ist nun, ob das nach dem Schock der Bombe von Oklahoma City auch in der politischen Debatte zur Kenntnis genommen wird. „Die Amerikaner“, sagt Josh Sugarman vom „Violence Policy Center“, „müssen sich nun fragen, ob sie in einer Gesellschaft leben wollen, in der jeder seine eigene Privatarmee ausrüsten kann. Und ich bin überzeugt, die Mehrheit will das nicht.“ Andrea Böhm
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen