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Mehr Gewalt geht vom Volke aus

■ Koalition über Verfassungsentwurf einig / Am 22. Oktober Volksabstimmung / Ab dann jederzeit Volksentscheid möglich

Der Weg zu einer neuen Landesverfassung ist frei. CDU und SPD haben sich nach monatelangem Streit auf einen Entwurf geeinigt, den sie gestern vorstellten. Über die neue Verfassung stimmen die Berliner am 22. Oktober ab – an dem Tag, an dem sie auch das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen wählen. Wichtigste Änderungen: Die neue Verfassung ermöglicht Volksinitiativen, -begehren und -entscheide. Grundrechte wie die Gleichstellung von Frauen und Männern sowie das Verbot der Benachteiligung aufgrund sexueller Identität oder Behinderung werden erstmals in die Landesverfassung aufgenommen. Nichteheliche „auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften“ sollen vor Diskriminierung geschützt und Menschen, die in häuslicher Gemeinschaft Kinder erziehen oder für andere sorgen, gefördert werden.

Das Thema einer Volksinitiative muß das Abgeordnetenhaus auf seine Tagesordnung setzen, wenn 90.000 Unterschriften von volljährigen in Berlin gemeldeten Einwohnern – auch ausländischer Nationalität – zusammenkommen. Wahlberechtigte Berliner – nur mit deutschem Paß – dürfen dann auch Gesetzesinitiativen starten. Diesem Volksbegehren müssen ein Zehntel der Wahlberechtigten zustimmen. Wenn das Abgeordnetenhaus den vorgeschlagenen Gesetzentwurf oder eine geforderte Gesetzesänderung ablehnt, muß es die Wahlberechtigten in einem Volksentscheid über das Begehren abstimmen lassen. Nehmen an der Abstimmung mehr als die Hälfte aller Wahlberechtigten teil, genügt die einfache Mehrheit für eine Annahme des Begehrens. Andernfalls muß ein Drittel aller Wahlberechtigten zustimmen. Die Quoren sind höher als in Brandenburg.

Die Rechte des Regierenden Bürgermeisters wurden nicht gestärkt. CDU und SPD konnten sich nicht auf die „Kanzlerregelung“ einigen, mit der der Regierende Senatoren ohne Zustimmung des Parlaments ernennen könnte. Das Verbandsklagerecht ist wie das Akteneinsichtsrecht für Bürger nicht in die Verfassung aufgenommen worden.

Die Vorsitzende der Enquetekommission „Verfassungs- und Parlamentsreform“, Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), wertete die Einigung von CDU und SPD als „passabel“. Größere Teile der Kommissionsvorschläge seien übernommen, Forderungen nach dem Recht auf Bildung und berufliche Erstausbildung sowie nach dem Recht auf Arbeit und Wohnen seien dagegen „verwässert worden“.

Das Abgeordnetenhaus wird nach dem gestrigen CDU/SPD- Kompromiß in seiner Sitzung am 22. Juni dem Entwurf mit der nötigen Zweidrittelmehrheit zustimmen. Der Regierende Bürgermeister wird die neue Verfassung verkünden, wenn die Volksabstimmung im Oktober erfolgreich ist. Dafür genügt eine einfache Mehrheit der Wahlberechtigten. Wenn Berlin und Brandenburg fusionieren, wird es erneut eine Verfassungsänderung geben. Dirk Wildt

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