: Tibet
■ betr.: „Guten Tag, Eure Heilig keit“, „Dringend nötige Wunder“, taz vom 5. 5. 95
Es ist erfreulich, daß gerade zu der Zeit, zu der überall in Deutschland der Wille zur Erhaltung des Friedens bekräftigt wird, nun auch die deutsche Bundesregierung den Mann offiziell empfangen hat, der 1989 den Friedensnobelpreis für den friedlichen Befreiungskampf seines Volkes erhielt. Dennoch: Dieser Kampf mit friedlichen Mitteln fordert seinen Preis, und dieser Preis kann nur vollends gewürdigt werden vor dem Hintergrund der Tatsache, daß die „territoriale Integrität Chinas“, das heißt die völkerrechtliche Zugehörigkeit Tibets zu China, keineswegs so zweifelsfrei ist, wie sich das nach Herrn Kinkels Aussagen in der Presse liest.
Tatsächlich nämlich hat selbst der deutsche Bundestag bereits 1987 festgestellt, daß „Tibet zum Zeitpunkt seiner gewaltsamen Einverleibung in den chinesischen Staatsverband ein unabhängiger Staat war“ und daß „China keinen völkerrechtlich wirksamen Titel für die Staatsgebietsaneignung erworben hat“. In einer gemeinsamen Resolution des US-Senats von 1991 heißt es, „daß Tibet [...] nach den bestehenden Grundsätzen des Völkerrechts ein besetztes Land ist, dessen legitime Vertreter der Dalai Lama und die tibetische Exilregierung sind“ (S. Con. Res./1991). Weitere Untersuchungen der Internationalen Juristenkommission, des Europaparlaments und des Ständigen Gerichts der Völker gelangten zu der gleichen Auffassung. Fakt ist also, daß zufolge allen auf völkerrechtlich gültigen Normen basierenden Untersuchungen, durchgeführt von den höchsten dafür zuständigen Instanzen der Weltgemeinschaft, Tibet der Status eines widerrechtlich besetzten Landes zuerkannt wird.
Nur vor dem Hintergrund dieses Wissens kann man das Ausmaß einer Friedensbereitschaft erkennen, die eben nicht auf dem völkerrechtlich legitimierten Anspruch der staatlichen Unabhängigkeit beharrt, sondern die um einer gewaltfreien und möglichst unblutigen Lösung willen Verzicht übt und sich freiwillig auf die Forderung der Autonomie für das tibetische Volk innerhalb des chinesischen Staatsverbandes beschränkt. Irmela Biehler, Niestetal
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