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Bahnrevolution rückt näher

Die Zukunft der Eisenbahn liegt im Nahverkehr / Bundesbahn fürchtet private Konkurrenz / Neues Bahnzeitalter beginnt Anfang 1996  ■ Aus Hamburg Florian Marten

Müde, genervt und verspätet rettet sich der Reisende in Augsburg aus dem überfüllten ICE 785 aus Hamburg-Altona. Wieder mal ist die Klimaanlage ausgefallen, waren die Klos verstopft, die Reservierungen vertauscht ... Doch nur ein paar Sekunden später sind mit dem Sprung auf den abfahrbereiten Regionalschnellzug nach Oberstdorf alle Sorgen vergessen. Kaffee und Croissants am Platz, die taz mit bayerischer Regionalausgabe vom Tage und schon bald, hinter Kempten, ein Blick aus den Panoramafenstern des Doppelstockwagens der ostdeutschen Waggonedelschmiede Görlitz auf die mächtige Zackenwand der österreichischen und deutschen Alpen. Die Allgäuer Bahn AG, ein profitables privates schweizerisch-deutsches Gemeinschaftsunternehmen, entführt den norddeutschen Gast ins bayerische Nahverkehrsparadies.

Eine ferne Utopie, entsprungen den wilden Fantasien nahverkehrsverliebter bajuwarischer Verkehrswendeträumer? Nein, zu den allergrößten Teilen bereits Gegenwart oder zumindest nahe Zukunft. Klammheimlich ist das CSU-gesteuerte Bergland dabei, sich zum Nahverkehrsparadies der Republik zu mausern: Der Allgäu- Schwaben-Takt, ein funktionierendes Regionalverkehrssystem nach Schweizer Vorbild, läßt schon heute nicht selten den ICE stehen.

In Oberstdorf fahren schon heute Elektrobusse mit Bergwasserstrom – die Planung für die „Modellregion für Verkehrsentlastung“ ist längst angelaufen. Auch an der wegweisenden Qualität der neuentwickelten Görlitzer Doppelstockwagen besteht kein Zweifel. Es fehlen lediglich noch die Allgäuer Bahn AG und die bayerische taz ...

Qualität und Quantität können sich verbessern

Nur eineinhalb Jahre nach dem Start des „Unternehmens Zukunft“, der Deutschen Bahn AG, am 1. 1. 1994 sieht es so aus, als ob die Zukunft der Bahnen doch im Nahverkehr liegen könnte. Für 15 beziehungsweise 30 Mark sind die BundesbürgerInnen zumindest am Wochenende schon mal kräftig dabei. Aber nicht nur das: Die DB AG will bis zum Jahr 2000 zehn Milliarden in den Nahverkehr investieren, den Verkehr also, der über 90 Prozent ihrer Fahrgäste repräsentiert. Und, aufregender noch: Länder, Kommunen sowie ausländische und deutsche Konkurrenzbahnen bereiten sich vor und hinter den Kulissen auf den 1. Januar 1996 vor, jenes geheimnisvolle Datum, an dem sich in Deutschland die Rahmenbedingungen für öffentlichen Nahverkehr radikal ändern werden. Nahverkehr, auch auf der Schiene, ist dann Sache von Ländern und Gemeinden. Sie verteilen die vorgesehenen acht Milliarden Mark staatlicher Subventionen jährlich, und ihre Bestellung entscheidet über den Fahrplan.

Der Züricher Verkehrsplaner Werner Stahler frohlockt: „Mit der Bahnreform und der Regionalisierung zum 1. 1. 96 ist ein Sprung in Quantität und Qualität im SPNV möglich.“ Voraussetzung sei, daß die immer noch innovationsfeindliche DB AG mit integralen Taktfahrplänen (siehe Allgäu-Schwaben), Elektrifizierung und gezieltem Streckenausbau sowie dem Einsatz von Zügen mit Neigetechnik ihr Angebot verbessere.

Allerdings stünden die aktuellen Investitionsprioritäten der DB AG, so selbstkritisch der bayerische DB-Nahverkehrsprojektleiter Andreas Schulz, einer solchen Zukunft noch entgegen: Die DB stecke noch immer überproportional viel Geld in ehrgeizige Fernverkehrsprojekte. Durch den Einsatz neuer Leichtbauzüge, wie sie die kleine DB-Konkurrenz Dürener Kreisbahn ab 1995 einsetzen will, lassen sich hingegen die Fahrkosten je Zugkilometer von derzeit 20 auf 10 Mark halbieren. Klaus Nötzold, Chef des DB-Nahverkehrs in Schleswig-Holstein, sekundiert augenzwinkernd: „Die 7,9 Milliarden Mark reichen derzeit ja aus, um den SPNV der DB AG in der unwirtschaftlichen Betriebsweise, die sie als Behörde hatte, voll aufrechtzuerhalten. Wenn wir jetzt besser arbeiten, dann muß für das gleiche Geld mehr Schienennahverkehr herauskommen.“

Mehr Bahn für weniger Geld

Die Bahn fürchtet jedoch um den Verlust ihres Monopols: Mit dem 1. 1. 96 wird der Nahverkehr auf der Schiene für die Betreiber zwar zu einem lukrativen Geschäft – doch müssen dann auch private Konkurrenten zugelassen, Verkehrsleistungen europaweit ausgeschrieben werden. Heinz Simons, Geschäftsbereichsleiter für den Nahverkehr der DB AG malt die Gefahr an die Wand: „Wir müssen schon fürchten, daß letztlich auch einmal die portugiesische Eisenbahn oder ein anderer Anbieter als der billigste bei einer Ausschreibung das Rennen macht.“ Die DB allerdings wehrt sich ihrer Haut: Mit den deutschen Bahnstrecken hat sie das Netzmonopol. Kein Wunder, daß die erste Version ihres neuen Preissystems 1994 für den Fahrweg zum Aufschrei bei Politikern, möglichen Bestellern, und der künftigen Nahverkehrskonkurrenz führte. Überzogene Preise für die Nahverkehrskonkurrenz sollten abschrecken. Der Protest hatte jedoch Wirkung: Ulf Häusler, Vorstand Fahrweg der DB, kündigte jetzt für den 1. Juli ermäßigte und differenzierte Trassenpreise an. Voraussichtlich werden Nahverkehrszüge nur noch fünf statt bislang acht Mark je Zugkilometer zahlen müssen. Die „Geißbockbahn“ von Friedrichshafen nach Ravensburg, die erste deutsche Privatbahn ganz auf DB- Schienen, zeigt, wozu das führen kann: Statt Zugausdünnung gibt es dort Taktverkehr mit Service, kostengünstig, auf die regionalen Bedürfnisse abgestimmt und erfolgreich. Übrigens: Die Privatbahn zahlt nur 1,30 Mark je Zugkilometer. Ein Geschäft auch für die DB AG: Ohne diesen Kunden hätte sie gar keine Einnahmen.

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