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Der Reichtum – die Armut

■ Armut ist immer noch weiblich, auch in Bremen / Ein Vortrag heute im belladonna

Schwachhausen hat von allen Bremer Stadtteilen den höchsten Anteil an Frauen, die von Sozialhilfe leben (56 Prozent). „Das sind viele alleinstehende, alte Damen“, sagt Ulrike Hiller. „Wahrscheinlich würden viele von ihnen nicht grade sagen, daß sie arm sind.“ Das gilt nicht nur für die Sozialhilfe-Frauen in Schwachhausen – ein Phänomen, das bei PolitikerInnen sehr beliebt, weil entlastend ist. Ulrike Hiller, Sozialpädagogin und Frauenbeauftragte in Ottersberg, fühlt sich jedoch bei ihren Beratungen im Arbeitslosenzentrum in Tenever oft mit „erschreckenden Einzelschicksalen“ konfrontiert. „Das will ich über eine Stadt verstreut deutlich machen.“ Heute abend präsentiert Ulrike Hiller zusammen mit Dorothee Fetzer (von der Solidarischen Hilfe) einen „Aufriß“, wie sie ihn nennen, von „Frauenarmut in Bremen“ im Frauen-Kulturzentrum belladonna.

„Armut ist weiblich“, war man sich in den Achtzigern in Politik und Wissenschaft noch einig. Heute haben den Statistiken zufolge die alleinstehenden, männlichen Sozialhilfeempfänger „aufgeholt“. Die Bundesregierung ist sowieso der Ansicht, daß niemand in Deutschland arm sei, da die Sozialhilfe Notsituationen auffange, und so gab Bonn Anfang der Neunziger auch die Parole aus: Es gibt keine Frauenarmut mehr.

Ulrike Hiller und Dorothee Fetzer trugen Daten vom Statistischen Landesamt in Bremen zusammen – fünf Prozent aller Bremer Frauen leben von Sozialhilfe. Klar seien da auch Frauen dabei, die freiwillig zur Sozi gehen. Studentinnen, oder Frauen, die sich zu einer Trennung entschließen. „Wer jedoch in die Sozialhilfe gezwungen wird, geht nicht unbedingt selbstsicher damit um“, bemerkt Ulrike Hiller. Da flammt noch einmal der Unmut über die Bremer Studie von Petra Buhr und Monika Ludwig auf. Die beiden Soziologinnen haben festgestellt, daß die meisten SozialhilfeempfängerInnen wieder aus der Hilfe herausfinden. Wo sie jedoch anschließend landen, werde in der Untersuchung nicht gefragt, bemängelt Ulrike Hiller.

Aus ihrer Beratungsarbeit weiß sie, daß viele jobben gehen, schwarz arbeiten, teilzeit arbeiten. 92 Prozent der Teilzeitarbeit liegt bundesweit in Frauenhand, im Lande Bremen betrifft dies etwa jede dritte Frau. Das ist höher als der Bundesdurchschnitt. „Das Problem ist, daß Frauen sich so kunstvoll durchschlagen können. Die managen das, die kriegen das hin!“ sagt die Beraterin.

Frauen, die teilzeit arbeiten, verdienen weniger, bekommen weniger Arbeitslosengeld, weniger Rente. Das Risiko, wieder bei der Sozi zu landen, sei also keineswegs behoben, so Hiller. Und auch in Vollzeit würden ja Frauen nach wie vor schlechter bezahlt als Männer. „Die größte Schweinerei jedoch ist, daß Alleinerziehenden das Kindergeld als Einkommensquelle an die Sozialhilfe angerechnet wird“, empört sich Ulrike Hiller. Das wird dann einer Mutter mit Kind von den 521 Mark für Essen, Strom, Telefon und private Bedürfnisse noch abgezogen.

Das jedoch wissen die wenigsten. Darauf will Ulrike Hiller aufmerksam machen, sie will informieren, den Leuten mal einen Sozialhilfe-Schein unter die Nase halten. „Diesen flappsigen Satz 'Wer's will, schafft's schon', glaube ich nicht.“ Bunte Pünktchen hat die Sozialpädagogin auf Bremens Stadtplan verteilt, um zu sehen, ob und wo es Einrichtungen für Frauen gibt. Beratungsstellen, Frauenhäuser, Mädchenhäuser, Gesundheitstreffpunkte – alles Angebote für Frauen, die Armut verhindern oder mildern können. „Auch ein schlechter Gesundheitszustand kann materiell arm machen.“

Frauentherapiezentrum, Frauenstadthaus, zib (Zurück in den Beruf) – die meisten Angebote sammeln sich in der Innenstadt, da müsse noch mehr dezentralisiert werden. „Denn von Tenever aus nach Walle zu Quirl, der Beschäftigungsinitiative, zu fahren, ist doch Wahnsinn.“ – „Was wir hier aufzeigen, kann jedoch nur ein erster Schritt sein, alle Daten müßten geschlechtsspezifisch getrennt werden, Kinderbetreuungsmöglichkeiten müßten aufgeschlüsselt werden ... Wir bräuchten einen Werkvertrag.“ sip

„Leben im Schatten“ – Frauenarmut in Bremen, Vortrag und Diskussion, heute, 20 Uhr, belladonna, Sonnenstr. 8

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