: Nachschlag
■ Für alle tragbar: Das soziale ABM-Projekt „Mode-Theater“
Foto: Annette Hauschild/Z 21
Wen schaudert's nicht beim Betreten eines Seniorenfreizeitheims angesichts großgeblümter Kittelschürzen und ausgeleierter Polyester-Pullis? Wer wandte sich nicht schon angeekelt ab von Gören in grellen Anoraks, Backfischen in buntbedruckten Sweatshirts und Frauen in Leggings und Schlabberpullis? Gerade in Berlin kann man ganze Stadtviertel durchwandern auf der Suche nach einem einzigen gutgekleideten Menschen – vergebens. Das muß nicht so bleiben. Am Mittwoch stellten die Designerin Tamara Rouditser und ihr „Mode-Theater“ in der Siemens-Villa eine Kollektion vor, die für jede Frau erschwinglich ist und auch ältere Damen und Mädchen berücksichtigt. Kaum eine Kombination kommt ohne Westen aus: Kurz und knapp lassen sie über Seventies-Hüfthosen den Nabel frei, lang und gerade fallen sie über solide Plisseeröcke. Natur- und Pastelltöne dominieren, nur die Strandmode feiert eine Orgie in bunten Folklore- Mustern. Höhepunkt des Defilees waren zwei raffinierte Synthetik-Abendkleider mit Schlangenmuster. Tamara Rouditser verbindet einen zeitlosen Stil geschickt mit aktuellen Trends wie transparenten Stoffen und Korsagen à la Versace. „Tragbare Sachen zu machen ist viel schwerer als verrückte“, meint die Designerin und hat damit zweifellos recht.
„Mode-Theater“ bietet allerdings nur Mode und kein Theater. Zwar läuft eine kleine Geschichte von einer restlos überarbeiteten Frau und ihrem Geliebten (Hochzeit und Happy-end inklusive) vom Band, doch die zwölf Models, allesamt Laien, tänzeln dazu auch nicht anders über den Laufsteg als ihre berühmten Kolleginnen in Paris und Mailand. Das ABM-Projekt unter dem Dach der Beschäftigungsgesellschaft IQ MediaTech läuft seit Oktober letzten Jahres und wird vom Senat für Arbeit und Frauen gefördert. So defilierte auch die Senatorin Christine Bergmann in hellen Marlene-Hosen über den Laufsteg und lobte laut das „pfiffige Design“. 18 arbeitslosen Frauen hat Tamara Rouditser, die an der Fachhochschule für Damenmode in Minsk studiert hat, Nähen und Zuschneiden beigebracht. Die Kollektion wird in SeniorInnenheimen oder Frauenzentren vorgeführt und kann dort zum Selbstkostenpreis von 15 bis 50 Mark pro Teil erworben werden. Männer allerdings bleiben außen vor; und so werden die Straßen Berlins auch weiterhin von Trägern violetter Jogginganzüge bevölkert sein. Miriam Hoffmeyer
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