: Ohne Sorge, sei ohne Sorge!
■ Leben mit der Klangtapete: Seit vergangener Woche spielt „Charlie“ Popmusik für jene, die Popmusik hassen
Mit Cheerleadern, Harley Davidsons und brandenburgischen Cowboys startete letzten Samstag „Charlie“, der erste deutsch-amerikanische Rundfunksender, sein Programm auf der früheren Frequenz des amerikanischen Soldatensenders AFN. Los ging's mit „Born in the USA“. Der umtriebige Charlie-Geschäftsführer Georg Gafron, der nebenbei auch noch Geschäftsführer bei Hundert,6 ist, möchte Berlin „verrocken“.
Doch so ganz zufrieden ist man an der Hörerfront noch nicht. Zum einen ist die Klangtapete, die „Charlie“ liefert, nicht allzu originell – „JFK“ und so weiter liefern den gleichen Mainstream. Probleme gibt es auch mit der Sendestärke. In den östlichen Bezirken ist der Sender kaum zu empfangen. Außerdem ist alles doch sehr arg amerikazentriert. Einem Wirbelsturm im Freundesland wurde mehr Aufmerksamkeit geschenkt als den Landtagswahlen.
Macht eigentlich nichts, dient vielleicht auch der deutsch-amerikanischen Freundschaft, und was in Deutschland so passiert, erfährt man ja auch anderswo. Von der Voice of America übernommene Sendungen, in denen Hörer aus aller Welt engagiert über skurrile Themen wie die Frage diskutieren, ob amerikanische Autos nun besser oder schlechter seien als japanische, haben einen seltsam fremden Reiz, mit den stündlichen amerikanischen VOA-Nachrichten fühlt man sich auch im Küchenexil als Weltbürger, und bei den Kurzberichten in Sachen Mode, Pop, Fitneß, Hollywood und Broadway, auf die „Charlie“ ganz besonderen Wert legt, kann man ja auch weghören, solange sie in Englisch sind.
Unerträglich an „Charlie“ ist die Musik, die nur selten von Moderatorenstimmen unterbrochen wird, die sich vor allem bemühen, nicht aufzufallen. Die „Rock Classics – the american way“ – vor allem aus den siebziger Jahren – bewegen sich sozusagen im leichten Joggingtempo Richtung Muzak. Die einzelnen Stücke sind, wie die Werbung, die sich zwanglos einfügt in den immer gleichen Klangteppich, sicher aufgehoben im Kollektiv des Mainstreams. Nicht das Interesse, sondern das Desinteresse des Hörers will Charlie gewinnen, und die Musik will verschwinden und sich als einzelnes Stück überflüssig machen.
Wahrscheinlich werden die ohnehin schon Fast-food-verliebten Songs wie bei vielen Privatsendern auch noch bearbeitet – das heißt Stücke, die zu langsam sind, werden bis zu 15 Prozent schneller oder langsamer gespielt; alle Auffälligkeiten, Breaks, Höhen und Tiefen abgeschliffen. Popmusik für alle, die Popmusik eigentlich hassen und deren einziges Ziel zu sein scheint, die quälende Langeweile aus den Fitneßstudios oder dem Auto oder der Einbauküche zu vertreiben. Popmusik, die einen weich umspülen soll, bis man gar nicht mehr merkt, daß man das Radio überhaupt anhat, Popmusik, die immer nur sagt: „Ohne Sorge, sei ohne Sorge!“ Bis man sich dann irgendwann völlig sorglos erschießt. Detlef Kuhlbrodt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen