: Auf der Suche nach der Schuld
Nach womöglich titelentscheidendem 1:1 zwischen Freiburg und Dortmund mag sich Spielverderber Andreas Möller „eigentlich nichts vorwerfen“ ■ Aus Freiburg Uli Fuchs
Dabei hatte alles so schön angefangen. Als Stefan Klos 30 Minuten vor Spielbeginn den Rasen des Dreisamstadions betrat, setzte ein Beifallssturm ein, den der Dortmunder Keeper sonst nur aus dem heimischen Westfalenstadion kennt. In einige Verwirrung gestürzt beklatschte Klos dann prompt und ausführlich zunächst die Freiburger Fans, bevor er im ganzen Tohuwabohu auch die schwarz-gelbe Ecke im Stadion ausfindig gemacht hatte und Grüßchen schickte.
Kindergeburtstag: die Freiburger Hätschelkinder hatten Besuch, von denen, die – neben dem Sport Club – ihre AnhängerInnen auch noch besonders doll lieb haben. Daß dann alles ganz anders kam, hatte viel mit dem schwarzen Mann zu tun – und mit Andreas Möller, dem vielleicht umstrittensten Milchgesicht der Liga. Noch Stunden später wurde deshalb nicht Party gefeiert, sondern die Frage diskutiert: War „der Andy“, wie ihn seine Kollegen liebevoll zu rufen pflegen, wieder einmal zu Unrecht Opfer seiner Böser-Bube- Rolle geworden, oder war er wirklich schuld, daß schon nach dreißig Minuten in Freiburg der Spaß eigentlich vorbei war?
Dem Schiedsrichter Wiesel konnte man so richtig nicht böse sein. Klar, er hatte falsch entschieden, als er Freiburgs Torhüter Schmadtke nach einer tollen ersten halben Stunde mittels roter Karte vom Feld schickte. Worauf Finke Heidenreich opfern und den ungeübten Beneking bringen mußte. Aber auch die meisten im Stadion hatten des Torhüters Hände im Spiel vermutet, als der deutlich vor dem Strafraum den Ball des alleine anstürmenden Ricken abwehrte. Erst die Fernsehzeitlupe hatte später Schmadtkes Kopf als rettendes Körperteil ausgewiesen.
Aber was war dann bei dem nachfolgenden Freistoß? Rollte Möller den Ball zweimal mit der Sohle, ohne ihn zu spielen, um die Mauer zu ärgern? Oder war die wirklich zu früh losgelaufen? „Ich glaube immer noch, daß der Schiedsrichter richtig entschieden hat“, sagte Freiburgs Kapitän Spies am Sonntag morgen. Jedenfalls gab es für Möllers provokative Fußroller erst Gelb und fürderhin wüste Pfeifkonzerte, wenn er den Ball berührte. Das wiederum brachte den Dortmunder so auf die Palme, daß er sich erst dem Publikum und dann den Beinen von Jungnationalspieler Heinrich so heftig näherte, daß Wiesel Festverbot erteilte.
Die Stimmung war im Eimer, und das Spiel, das bis hierhin ein Klassespiel gewesen war, lebte fortan allein von der Spannung. Und gebar immerhin noch einen tragischen Helden: Matthias Sammer, der beim Verhältnis 10 gegen 10 zum überragenden Mann im Mittelfeld der Borussia avanciert war, lenkte zwölf Minuten vor Schluß einen völlig ungefährlichen Querpaß von Heinrich unerreichbar für Klos ins eigene Netz. Ein Unentschieden – Zorc hatte die Dortmunder kurz nach der Pause in Führung gebracht – das paßte zum vermasselten Nachmittag.
Nur ein Sieg hätte auf Freiburgs Rängen für wenigstens noch halbwegs gute Stimmung sorgen können. Auch ein Dortmunder, übrigens. Denn wenn schon nicht der Sport Club, dann – so die überwiegende Meinung im Südwesten – soll der BVB am Schluß die Nase vorn haben.
Kann er jetzt noch? Während Matthias Sammer und Restdortmund das Eigentor etwas resigniert, doch gefaßt als unvermeidlich und vom widrigen Schicksal verordnet hinnahmen, hatte ein anderer alles schnell wieder im Griff: „Ich kann mir eigentlich nichts vorwerfen“, verkündete gewohnt selbstkritisch Andreas Möller, „und wir werden trotzdem deutscher Meister.“
Dortmunds in der zweiten Hälfte überragender Libero Cesar mag einiges etwas anders sehen. Als Möller Gelb-Rot sah, mußte der kräftige Brasilianer von zwei Mannschaftskollegen im Zaum gehalten werden. Doch hatte er nicht Schiedsrichter Wiesel als Schuldigen gesehen, sondern war drauf und dran, Möller noch auf dem Platz eine handfeste Abreibung für seine Unbeherrschtheit zu verpassen. Wie das manchmal eben so läuft, bei einem richtig verkorksten Kindergeburtstag.
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