■ Scheibengericht: Bad Brains / Wilco / Dan Stuart / Mosquito / Dump
God of Love“ (R.A.W./WEA)
Fall 1: Ein Restitutionsversuch. Die Kunde eilte der Platte voraus: die Bad Brains wieder mit ihrem früheren Sänger H.R. – nach den ganzen verquälten Versuchen mit Ex-Faith-No-More-Sängern (redlich, aber daneben) ein Hoffnungsschimmer. Die Bad Brains sind eine der unterbezahltesten Bands der Rockgeschichte, stilprägend für ganze Scharen von Hardcore- Bands, das alles – lange vor Living Colour – als eine der ersten schwarzen Bands auf Nicht-Black- Music-Terrain. Bloß einen Viertel- bis Drittelanteil an weisem Roots- Reggae haben sie ihren HC-Fans doch immer wieder zugemutet, ohne Rücksicht auf Verluste.
Und Verluste hatten sie genug: Bei Konzerten hierzulande, erinnere ich mich, konnte man beobachten, wie die Unbelehrbaren im Publikum sich massiv am Reggae stießen. H.R. trennte sich nach „Quickness“ (1990) von der Band, einer Platte, auf der die metallisch verschärfte Groovyness immer kurz vor der Verkrustung zum Crossover haltmachte und sich zum Reggae umwendete. H.R. konnte das: Jah, den God of Love, preisen im Vibrato des erleuchteten Vorsängers, und er hat es nicht verlernt. Die verschobene Spannung zwischen schnellem Metal-HC und seiner langsam mäandernden Stimme hat natürlich noch ihren Reiz. Allein: Das Songwriting-Handwerk hat unter den Irrungen und Wirrungen gelitten – als drückte sich darin eine Verunsicherung ob der fehlenden Anerkennung aus, während jedes Kleinkind nicht nur in den USA „Offspring“ und „Green Day“ fehlerfrei buchstabieren kann.
Die Reggae-Anteile wirken diesmal so hineinproduziert, so aufpoliert, daß sie fast gimmickhaft wirken. Die Bad Brains haben sich aufgerappelt, aber es rappelt nicht mehr – oder, hoffnungsvoller gesagt: noch nicht wieder – im Karton.
Wilco
„A.M.“ (Sire/WEA)
Dan Stuart
„Can o' Worms“ (Normal/ Indigo)
Fall 2: Nach der Band. Wilco sind der tapfere Versuch, ganz, ganz nah an den Mainstream, an das alter Tier Adult Orientated Rock ranzugehen, ohne sich auffressen zu lassen. Na ja, die Beine gucken noch raus. Wilco sind das, was man eine Nachfolgeband nennt: das, was von der langjährig tätigen und mäßig erfolgreichen, die unkorrupte Lehre des Countryrock- Songwritings hochhaltenden Band Uncle Tupelo ohne Sänger Jay Farrar übrigblieb. Der andere Uncle-Tupelo-Songwriter Jeff Tweedy zeichnet hier für die meisten Stücke verantwortlich, und er scheint sich vor allem im Metier des bei mittlerer Temperatur dahinschmelzenden Songwriter-mit- Attitude-Rock heimelig zu fühlen. Gleich zu Beginn läßt er mit „I Must Be High“ eine Beseeltheit los, die sich durch all die Tom-Pettyness, die das gleichwohl abstrahlt, durchzukämpfen weiß. „Pick up the change“ in der Mitte ist da noch eine Spur weniger auf die Durchexerziertheit des Radioairplays angelegt, nicht so feist, näher am Mikro, kleinere Räume für viel weniger Mainstream-Gegenwert. „Blue Eyed Soul“ kurz vor Ende – und da kommt ihm eine Lapsteelgitarre tatkräftig zu Hilfe – ist auch noch mal so eine haarscharf an der selbstgestellten Forderung, Hits schreiben zu wollen, vorbeigeschrammte Unbeirrtheit. „Your're the reason I ran out of metaphors“, heißt es in „I Thought I Held You“, bevor ein Banjo einsetzt. Die Band nach der Band als Versuch, uneingelöste Versprechen einzufordern und dabei nicht die Sprache zu verlieren.
„At least in dreams, we'll get it right“, singt Dan Stuart, Ex-Sänger von Green On Red, die Anfang bis Mitte der Achtziger die US-Speerspitze der Gitarrenrock-Rückkehr in den Underground waren. Seltsam verweht, weggeweht. Texte wie Prosa im Booklet, nach jedem Reim ein Punkt. Wahrscheinlich weil Dan Stuart es in den letzten Jahren kaum geschafft hat, mal einen Punkt zu setzen, wo er ihn haben wollte, und die halb wehmütigen, halb nostalgisch-retrospektiven Texte zeugen davon auch nur scheinbar auf einer gedämpften Ebene.
Dan Stuart ist nach Chuck Prophet und Chris Cacavas der dritte Ex-Green-On-Red, der es solo probiert; die Platte hat er in Arizona eingespielt, mit Musikern aus dem Silos-Umfeld (der Produzent J.D. Foster hat auch schon mit New-Country-Held Dwight Yoakam gearbeitet), und durchweg bewegt sich seine Stimme auf einer dunkel-brüchigen Grenze zwischen zurückgewonnener Ruhe und immer noch anhaltender Depression. Sehr dämmrig schieben sich die Balladen voran, geleitet von schummrigen, langsamen Leadgitarren im Hintergrund, allenfalls etwas aufgehellt durch vereinzelte Bläser. Im letzten Song „The Greatest“ erzählt Dan Stuart davon, wie er als Kind von Muhammed Ali geträumt hat und ihn immer für den größeren King als Elvis gehalten hat.
Im dritten Song erzählt er auf wenig verschlüsselter Ebene, wie er in Spanien – und man merkt, daß hier kein Gleichnis erzählt wird – als Junkie sein Leben fristete: „I've been shot full of holes with nothing left to pay.“ „La Pasionaria“ heißt er, der hispanisch-elegische Song, und das muß man auch nicht übersetzen. Von dem Kindheitstraum ist weniger als gar nichts übriggeblieben.
Mosquito
„Cupid's Fist“ (Red Note/EfA)
Dump
„I Can Hear Music“ (Brinkman Records/EfA)
3. Fall: Heimarbeit, enter the LoFi- Universe: Mosquito ist einer der wahrscheinlich Dutzend Splitter, die sich um Jad Fair, Sänger von Half Japanese, anordnen. Jüngst war zu lesen, daß Chris Novoselic und Dave Grohl, die verwaiste Nirvana-Rhythmus-Sektion, mit Jad Fair eine Band bilden würden. Und das leuchtete mir auch sofort ein: Das ist wahrscheinlich eine der wenigen interessanten Stimmen Amerikas, bei der man hundertprozentig sicher gehen kann, daß sie wirklich niemals popmehrheitsfähig wird – und von Popmehrheitsfähigkeit wollten die beiden wohl erst mal so weit wie möglich weg. Jad Fair klingt, als hätte ihm ein Verrückter die Stimmbänder herausoperiert und dafür alten Luftballongummi eingesetzt. Quäkig und am Rande des Stimmbruchs, aber voll Größe und Konsequenz.
Bei Mosquito handelt es sich um ein anderes, hüstel, „Projekt“, an dem unter anderem Sonic-Youth- Schlagzeuger Steve Shelley mit offensichtlich großer Freude beteiligt ist. Denn er macht ein auseinandergepflücktes Indianer-Totentrauer-Getrommel mit Down- Home-Blues-Einsprengsel, dessen er sich bei Sonic Youth weniger befleißigen darf. Dazu kommt entweder ein verzagtes Banjo, die altbekannte Jad-Fair-Unfähigkeitsmundharmonika oder eine besonders zittrig bebende Gitarre, so daß Jad Fair nur noch ein wenig kreischen muß oder eine seiner weggetretenen Verschrobenheitsgeschichtchen erzählen muß, damit die gepflegte Neurose perfekt ist.
Ebenfalls beteiligt an Mosquito ist James McNew, der sich andernorts mit seinen Solo-Heimarbeitssongs hervortut. Unter dem Namen Dumb hat er jetzt gleich eine Doppel-CD veröffentlicht, die das Herz zum Glühen bringt mit Songs jenseits der Pop-Vermarktungsgrenze. Für „Hope Joe“ und vor allem „Flap my Arms“ allein schon würde ich alle Verteidigungen dieser zurückgezogenen Wohnzimmerarbeitsweise antreten, obwohl McNew gar nicht mal im Verdacht steht, eines von diesen verbitterten Männlein mit Selbstmitleidsproblemen zu sein, die sich zu Hause einschließen – er spielt daneben noch ganz kollektiv Bass bei Yo la Tengo.
Egal, ob er einen dünnen Casio- Beat benutzt oder ein komplett abgerüstetes Pappkartonschlagzeug, sein Harmoniegespür braucht nicht viel, um sich in einen funktionierenden Song zu finden. Und das klingt am Ende nicht einmal nach Dekonstruktion oder Verfremdung oder so einer Angestrengtheit, sondern so, als wäre das eine völlig selbstverständliche Arbeitsweise, um den Mythos Pop für sich zu beanspruchen. Die Phil-Spector-Hymne „I Can Hear Music“ klingt dann genausowenig gefleddert wie die gewagt unaufgeregte Coverversion von Ultravox' „Vienna“ – so pathosersoffen wie das Original. Das glaubt jetzt keiner, aber selbst aus diesem Stück ließ sich noch was machen. Was lernen wir daraus? Bestimmte perfekte Unfertigkeiten brauchen den uninstitutionalisierten Raum abseits der festgefügten Band.
Und was lernen wir am Ende aus all dem? Das, was hier wie die noch rauchenden Ruinen oder die Überbleibsel des Bandmodells aussieht, ist im Grunde der Raum, der sich erst durch die Band als Ort der Produktion eröffnet. Der Weg in den altbekannten, feuchten Proberaum steht immer noch offen, und manche Musiken können nur entstehen, wenn man ihn, weil man ihn kennt, für eine Zeit meidet.
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