: Stachel im Fleisch
■ In Kroatien ist die Satire-Zeitschrift "Feral Tribune" zum ernsthaften Gegner des Regimes geworden
Der Witz von Predrag Lućić beherrscht den Raum. Wenn der dunkelhaarige, schlaksige Mittdreißiger seine Augen rollt und zu reden beginnt, zeichnet sich auf den Gesichtern der Umstehenden Heiterkeit ab. Mit seiner intellektuellen Schärfe und seinen Wortspielen ist er sogar bei den alteingesessenen Bürgern der 1.700 Jahre alten Stadt als Satiriker anerkannt. Und das will etwas heißen in der dalmatinischen Hauptstadt, wo diese Spielart der Kunst eine lange Tradition auch im Alltag besitzt.
Zusammen mit den nicht weniger schlagfertigen und immer zu bissigen Bonmots aufgelegten Freunden Victor Ivanćić und Boris Dezulović ist Lućić der Kopf der satirischen Zeitschrift Feral Tribune, die heute zum wichtigsten oppositionellen Wochenmagazin Kroatiens geworden ist. In der Feral Tribune werden nicht nur die Epigonen des Regimes kräftig durch den Kakao gezogen — Aufsehen erregte die Collage Tudjman und Milošević gemeinsam im Bett liegend, was während des Krieges in Bosnien politisch äußerst zutreffend war.
Die Zeitschrift ist auch zum Diskussionsforum geworden, ihre Autorenliste liest sich wie ein „Who's who“ der kritischen kroatischen Intelligenzija. Hier werden die heißen Eisen angepackt, die andere längst fallengelassen haben.
In der Feral konnte das breite kroatische Publikum von der Sprengung von mehr als 5.000 ehemals Serben gehörenden Häusern erfahren, hier waren die ersten Reportagen über die Verbrechen westherzegowinischer Extremisten in Čapljina, Mostar und Stolac in Bosnien 1993 abgedruckt. Die Feral war es, die den Rausschmiß von Familien aus ihren Wohnungen durch kroatisches Militär und paramilitärische Truppen anprangerte, auf die Prozesse gegen die oppositionelle „Dalmatinische Aktion“ hinwies, auf die offene Sympathie gegenüber Kriegsverbrechern in Zagreb und die nie aufgeklärten Anschläge vor allem gegen Oppositionelle oder andere nicht genehme Personen in Split. Last not least kam es vielen in Zagreb äußerst ungelegen, daß die Machenschaften der Protagonisten des Regimes, die sich ziemlich ungeniert das Volkseigentum (privatisierend) in die eigene Tasche steckten, dem Publikum nahegebracht wurde.
Daß die Feral Tribune jetzt seit einigen Monaten selbst zum Politikum geworden ist, darf somit nicht mehr verwundern. Im Juni letzten Jahres wurde sie unter anderem der „Pornographie“ sowie der „Beleidigung führender Persönlichkeiten“ angeklagt und deshalb zu einer monatlichen (!) Geldstrafe von 50.000 Mark verdonnert – ein in der Rechtsgeschichte wohl nicht gerade gewöhnlicher Vorgang.
Trotz aller Sorgen überwiegt das Lachen
Obwohl die Auflage mit knapp 50.000 in einem Sprachraum von rund fünf Millionen Einwohnern nicht gerade klein zu nennen ist, treibt sie Predrag Lućić manchmal Sorgenfalten ins Gesicht. Denn gleichzeitig wurde das alte staatliche Vertriebssystem „privatisiert“. Wer die Herkunft des neuen Besitzers erraten will, hat es angesichts der herrschenden Patronage nicht schwer: Es war ein Freund Tudjmans, der sich das Vertriebssystem unter den Nagel gerissen hat. Und Feral Tribune muß seine Exemplare nun selbst vertreiben, was nicht gerade kostengünstig ist.
Doch schon bald überwiegt erneut das Lachen in der Redaktion. Feral Tribune wird nicht aufgeben und nicht fallen, betonen die Macher. Zwar erhalte die Zeitung nur einen verhältnismäßig kleinen Obolus aus der Kasse des ungarischen Börsenspekulaten Soros, Finanzier vieler demokratischer Initiativen in Osteuropa. Aber manche Zeichen aus dem Ausland seien ermutigend, wenn auch noch nicht ausreichend, das Überleben der Zeitung zu sichern. Selbst in der Europäischen Union mehrten sich die Stimmen, Kroatien so lange den Eintritt in den Europarat zu erschweren, bis die interne Pressefreiheit wiederhergestellt sei. Und daß Feral Tribune zu den Prüfsteinen gehört, habe in Zagrebs offiziellen Kreisen manches Kopfzerbrechen ausgelöst.
Vor allem bei jenen, die schon länger mit dem Phänomen Feral Tribune zu kämpfen haben. Und das sind nicht wenige. Wenn Boris Dezulović die Kostgänger des heutigen Regimes und gleichzeitigen Kritiker seiner Zeitung aufzählt, gerät er fast ins Schwärmen. Denn es handelt sich bei ihnen oftmals um die gleichen Personen, die sich schon vor über zehn Jahren — also während des kommunistischen Regimes — an dem Blatt abarbeiteten. Jene, die es damals des „Verrats an der Arbeiterklasse“ bezichtigten, würden heute den „Verrat an der Nation“ beklagen.
Als vor dem Krieg Feral Tribune noch eine Beilage der Tageszeitung Slobodna Dalmatija war und die allgegenwärtigen totalitären Denkweisen aufs Korn nahm, waren die Satiriker weit über Dalmatien hinaus bekannt geworden. Und noch heute ist die Zeitung in Sarajevo und Belgrad ein willkommenes Gastgeschenk. Als eigenständiges Blatt ist Feral Tribune sogar noch begehrter geworden als je zuvor. Gerade mit den Stolpersteinen hat das „realsatirische Regime“ seinen Kritikern den Weg geebnet. Als es vor fast genau zwei Jahren die Tageszeitung Slobodna Dalmatija unter Kuratel stellte und die Satiriker aus dem neuen Konzept der Tageszeitung verbannte, hatte es lediglich vier bis sechs Seiten Feral Tribune zu ertragen gehabt. Heute sind es manchmal 40 Seiten wöchentlich, die dem Regime Anlaß zur Klage geben. „Uns wird was fehlen, wenn es Tudjman und seine Mannen nicht mehr geben wird.“ Ob die Wehmut lange währt, darf bezweifelt werden. Predrag Lućić und seine Freunde sollten nämlich in jeder Wirklichkeit fündig werden. „Nichts anderes ist ja die Satire.“ Erich Rathfelder, Split
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