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Treuepflicht bis in den Krieg

Trotz neuer Führung und neuer Gesetze wird sich in Rußland der KGB-Nachfolger von der dunklen Vergangenheit nicht lösen  ■ Aus Sankt Petersburg Boris Pustinzev

„Schweren Herzens werde ich für die Ernennung des Genossen Krjutschkow zum Vorsitzenden des KGB stimmen.“ So sprach Boris Jelzin 1989 vor dem Kongreß der sowjetischen Volksdeputierten. Niemand hatte damals Zweifel an der Wahl des bewährten KGB- Mannes, der sich 1956 an der Niederschlagung der ungarischen Revolution beteiligt hatte. Bis zum August 1991 leitete Krjutschkow den Geheimdienst, dann wurde er mit den anderen „August-Putschisten“ festgenommen.

Der heutige Direktor des Föderalen Sicherheitsdienstes, Sergej Stepaschin, leitete damals die parlamentarische Kommission, die die Schlüsselrolle des KGB in den Putschvorbereitungen aufgedeckt hatte. „Ich bin überzeugt“, erklärte Stepaschin gegenüber dem Komitee für Bürgerkontrolle, „daß unser Sicherheitsdienst nicht reformierbar ist. Ich bin bereit, für die Demontage des Spitzeldienstes mit Ihnen zusammenzuarbeiten.“

Diese Erklärung blieb bloße Deklaration. Nach der Verhaftung Krjutschkows war es durchaus möglich, den KGB für eine verbrecherische Organisation zu erklären. Aber in diesem Fall hätte Jelzin auf Demokraten setzen müssen. Dazu war er nicht bereit. Statt dessen ordnete er im Dezember 1991 per Dekret die Fusion von Sicherheitsdienst und Kriminalpolizei an. Das Verfassungsgericht erklärte das neue Sicherheits-Superministerium dann aber für verfassungswidrig, und Jelzin kehrte zum Status quo ante zurück.

Schon bald sollte dem Präsidenten das Herz noch schwerer werden. Der frisch ernannte Chef des Sicherheitsministeriums, Viktor Barannikow, brachte ins Parlament mehrere Gesetze ein, die die alten Vollmachten des KGB wiederherstellten. Der Eingriff in die Privatsphäre wurde legalisiert — eine rechtliche Regelung, die es selbst in der UdSSR nicht gegeben hatte. Einen weiteren Versuch, die Staatssicherheit zu reformieren, machte Jelzin nach dem Putschversuch gegen ihn und der Wahlniederlage im Dezember 1993. Der Präsident war mit den Lageberichten und falschen Prognosen des Sicherheitsdienstes unzufrieden. Der neue Ukas war vielversprechend: „Das System der Sicherheitsorgane hat sich als nicht reformierbar erwiesen. Heute ist das System der politischen Spionage lediglich konserviert und könnte problemlos wiederaufgebaut werden.“ Doch hinter diesem neuen Erlaß verbarg sich die Bestrebung Jelzins, in der Zukunft weitere Niederlagen zu verhindern.

Es war klar, daß sich auch der umbenannte Sicherheitsdienst von seiner Vergangenheit nicht trennen würde. Zum Direktor des neuen Amtes wurde Nikolaj Gluschko ernannt, der ehemalige Leiter des KGB in Kiew, wo politische Dissidenten besonders brutal verfolgt worden waren. Sein Nachfolger war der liberale Stepaschin, der keine dunkle KGB-Vergangenheit hatte. Sein Beispiel zeigt jedoch, wie schnell das alte System Menschen „verändern“ kann: Heute ist der ehemalige Demokrat einer der Hauptverantwortlichen für den Krieg in Tschetschenien. Sein „Föderaler Dienst für Gegenaufklärung“ (FSK) rekrutierte schon Wochen vor der Invasion unter den Militärs Söldner für den ersten Sturm auf Grosny.

In Tschetschenien stellte der Präsident Stepaschin auf die Probe. Und der Sicherheitschef bewies Jelzin seine persönliche Treue. Er war bereit, allen Anweisungen zu folgen. Solche Treue mußte großzügig belohnt werden. Jelzin ernannte Stepaschin zum Armeegeneral und unterschrieb ein neues Gesetz über den Geheimdienst. Dieses Gesetz gibt dem Ex-KGB alles zurück, was ihm nach dem Oktoberputsch 1993 genommen wurde: seine eigenen Truppen, Gefängnisse und Untersuchungsrichter. Mitarbeiter dürfen von den Milizen nur dann festgenommen werden, wenn eine gerichtliche Anordnung vorliegt.

Nach der russischen Verfassung ist der Präsident Garant der Menschenrechte. Nur scheint die Einhaltung bürgerlicher Freiheiten Jelzin nicht am Herzen zu liegen.

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