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Zwei für einen Sender

Claudia Dantschke und Ali Yildirim machen mit AYPA-TV in Berlin aufklärendes Fernsehen über das deutsch-türkische Zusammenleben  ■ Von Eberhard Seidel-Pielen

Das Urlaubsland 1995 erwartet Sie – mit Naturwundern, Badefreuden und der berühmten türkischen Gastfreundschaft. Willkommen bei Freunden.“ Pünktlich um 23 Uhr verabschiedet sich der Berliner Kabelsender AYPA-TV mit einem weichgezeichneten Werbespot des Fremdenverkehrsamtes der Türkei.

Erleichtert atmet die stellvertretende Chefredakteurin Claudia Dantschke (31) auf. Doch auf dem Wohnzimmertisch liegt noch das Band über das Opfer eines Brandanschlags, das für die morgige Sendung geschnitten werden muß. In wenigen Stunden klingelt der Wecker. Dann wird die gebürtige Leipzigerin und studierte Arabistin mit ihrem Kollegen Ali Yildirim (45) wieder durch Berlin jagen. Von Termin zu Termin, 7 Tage die Woche, 14 Stunden am Tag.

Seit Februar 1993 sendet AYPA-TV im Spreekanal täglich den „deutsch-türkischen Berlin- Spiegel für alle, die toleranter sein wollen“. Auf dem Spreekanal machen dreißig ausländische und deutsche Anbieter Programm.

AYPA ist ein kleines Wunder. Von zwei Besessenen am Leben erhalten. Denn für die wöchentlich rund 400 Sendeminuten haben Chefredakteur Ali Yildirim und Claudia Dantschke weder Mitarbeiter noch Studios. „Der Ort des Geschehens ist unsere Redaktion, die Konferenzen finden im Auto statt“, beschreibt Yildirim die Arbeitsbedingungen des mobilen Einsatzkommandos.

Die beiden ambitionierten Fernsehjunkies wollen neue Standards in der Berichterstattung über die multikulturelle Gesellschaft setzen. Denn damit sieht es nach ihrer Auffassung eher kümmerlich aus. „Das Gros der deutschen Journalisten behandelt das Thema stiefmütterlich“, ärgert sich Dantschke: „Auf den Pressekonferenzen der Immigrantenorganisationen treffen wir meist auf unerfahrene Volontäre, die dann häufig auch viel Unsinn schreiben und sich aus Unkenntnis über die Hintergründe nicht selten funktionalisieren lassen.“

Claudia Dantschke führt bei AYPA die Interviews, schneidet und spricht die Texte für die Werbebeiträge. Bis zu ihrer Abwicklung im September 1990 arbeitete sie als Dolmetscherin in der arabischen Redaktion der Nachrichtenagentur ADN. Bis zum Herbst 1991 hatte die Ostdeutsche keinen Kontakt zu türkischen Einwanderern.

Heute gehört sie zu den Journalisten, die am kompetentesten über das deutsch-türkische Zusammenleben berichten. Kaum ein Berliner Politiker, kein Vertreter von Immigrantenorganisationen, der ihr nicht vor dem Mikrophon Rede und Antwort gestanden hätte.

Manch einem, wie dem rechtskonservativen Präsidenten der Türkischen Gemeinde zu Berlin, Mustafa-Turgut Cakmakoglu, treibt es den Angstschweiß auf die Stirn, wenn Dantschke in leicht sächselndem Tonfall zum Interview bittet. Und seine Augen suchen Halt, wenn sie mit bohrenden und sachkundigen Nachfragen deutlich macht, daß er in der Bewertung des Polizeimassakers an Istanbuler Alewiten und in der Kurdenpolitik vor allem Sprachrohr der türkischen Regierung ist.

Um Haaresbreite wäre die Journalistin selbst auf der anderen Seite gelandet. Denn vor der Gründung von AYPA-TV arbeitete sie beim türkischen Kabelsender ATT. „Als Ostlerin war ich naiv und habe schlicht nicht gewußt, wo ich da hingeraten bin.“ ATT organisierte im Sommer 1987 gemeinsam mit der „Türkischen Gemeinde zu Berlin“ eine Unterschriftenaktion gegen die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern durch das Europaparlament. Die Aktion mündete in einer Demonstration türkischer Nationalisten, auf der Hetzflugblätter verteilt wurden: „Verflucht seien die Propagandisten von den Massakern an den Armeniern! Spuckt auf die Huren, die ihnen applaudieren!“

Zu Beginn ihrer journalistischen Arbeit stand für Dantschke nicht Aufklärung im Vordergrund, sondern schlicht die Frage: Wie überstehe ich die Wendewirren? Ihre geheime Hoffnung, als Dolmetscherin ein Schlupfloch in der Mauer zu finden, hatte sich zu DDR-Zeiten an der Universität zerschlagen. „Das Fremdsprachenstudium wurde als Vorbereitung auf die diplomatische Laufbahn gesehen. Wir galten als Geheimnisträger, und mir wurde verboten, Kontakt zu Ausländern aufzunehmen.“

Nun, nach der Wende, wollte sie endlich einen Fuß in die weite Welt setzen. So produzierte die Neubundesbürgerin in einer One Woman Show Beiträge für ATT, in denen sie gleichzeitig interviewte und filmte, in denen sie analysierte und kommentierte. Geld verdiente sie nicht.

AYPA-Interviews sind deutlich und informativ

„Aber das Improvisieren übte, wenngleich die Qualität auf der Strecke blieb“, versucht Dantschke ihrem beruflichen Irrweg bei ATT heute etwas Gutes abzugewinnen. Auf einer der vielen Pressekonferenzen, die sie besuchte, lernte sie 1992 Ali Yildirim kennen, damals Berlinredakteur von Milliyet.

Auch Yildirim war hungrig. Hungrig nach einem aufgeklärten, laizistischen Journalismus wie ihn seine beiden großen Vorbilder, der von Fundamentalisten ermordete Ugur Mumeu und Aziz Nesin in der Türkei verkörpern. „Motivation für meine Arbeit ist unter anderem die Abneigung vieler türkischer Intellektueller gegen die deutschen Medien wegen deren einseitiger, schlecht recherchierter und oberflächlicher Türkeiberichterstattung.“

AYPA redet mit Rechten und mit Linken

Mangelndes Wissen über Organisationshintergründe und den Werdegang von Politikern und Prominenten, so Yildirim, führten bei Themen wie Fundamentalismus und Islam zu irreführenden Rechercheergebnissen und fragwürdigen Schlußfolgerungen: „Ein kürzlich vom ZDF ausgestrahlter Beitrag über Muslime am Beispiel von Hasan Aykol, der zu 45 Prozent an dem fundamentalistischen Kabelkanal TFD (Türkisches Fernsehen Deutschland) beteiligt ist, wirkte auf türkische Zuschauer recht befremdlich.“ Der Sender TFD steht der AMGT (Milli Görüs) nahe, die in Deutschland die Politik der Refah-Partei Erbakans vertritt und häufig mit antisemitischen und antiwestlichen Positionen auf sich aufmerksam macht.

„Wir wollen helfen, solche Irreführungen – die keine Einzelfälle sind – zu vermeiden. Als AYPA bieten wir deshalb deutschsprachigen Medien einen Programm- und Meinungsaustausch an, um die Qualität der Berichterstattung über die türkische Community anzuheben“, betont Yildirim. Ein Angebot, das von den Redaktionen bislang als Einbahnstraße mißverstanden wurde.

Täglich klingelt bei AYPA das Telefon, lassen sich ZDF-Journalisten über die Alewiten informieren, möchte ein n-tv-Mitarbeiter wissen, wie denn so die Stimmung unter Berliner Türken sei, und ein Dritter will schnell und natürlich kostenlos Termine und Kontakte in fundamentalistische Kreise.

Zwar ist ihr kleiner deutsch-türkischer Sender inzwischen bundesweit bekannt, doch die beiden ProgrammacherInnen bleiben skeptisch. „Die Türken werden von den Nachrichtenredaktionen leider erst dann entdeckt, wenn wie in Mölln, Solingen, Sivas oder Istanbul an der Gewaltspirale gedreht wird“, bedauert Yildirim.

Und Dantschke mußte feststellen, daß das Interesse bundesdeutscher Medien an AYPA-TV häufig eigennützig ist. „Eine Stadtillustrierte, die von uns einen Kommentar zur Geldsammelaktion des türkischen Staatsfernsehens TRT- INT zugunsten der türkischen Armee anforderte, druckte ihn dann nicht, weil wir nur eine kritische Auseinandersetzung mit dessen Berichterstattung gefordert hatten – und nicht gleich sein Verbot.“

Mit ihrem aufklärerischen Ansatz kämpft AYPA an vielen Fronten. Dantschke liegt daran, den türkischen Zuschauern klarzumachen, daß Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Vorurteile keine Erfindungen aus dem Beitrittsgebiet sind. Zwar könne sie die Enttäuschung vieler Einwanderer über die Entwicklung der letzten Jahre verstehen, „das darf aber nicht dazu führen, daß nun umgekehrt Vorurteile auf die Ostdeutschen projiziert werden“.

Yildirim seinerseits beobachtet besorgt, wie nicht nur in der Türkei, sondern in den letzten vier Jahren auch in Berlin „die Aufsplitterung der türkischen Gesellschaft nach religiöser und ethnischer Herkunft und nach politischer Einstellung zunimmt. Innerhalb dieser Gruppen existiert kaum eine Kommunikation. Und weder die türkischsprachigen Medien noch die Vereine übernehmen die Moderatorenrolle.“

Um so mehr setzen die religiösen und ethnischen Minderheiten Berlins auf die Vermittlerrolle von AYPA-TV. Für sie ist der Sender häufig die einzige Möglichkeit, ein Forum für ihre Anliegen zu finden. Als das Team vor wenigen Wochen auf einer Versammlung Berliner Alewiten auftauchte, wurde es mit Standing ovations begrüßt. Eine Anerkennung für dessen Mut.

Jederzeit können sich Attentatsversuche wie der nach einer kritischen AYPA-Berichterstattung über den 37fachen Brandmord von Sivas wiederholen. Mit: „Tod allen Alewiten! Wir werden euch alle verbrennen!“ auf den Lippen und einem gezückten Messer in der Hand stürmte im Juni 1993 ein Fanatiker in das Redaktionsbüro und verletzte den damaligen Werbeleiter des kleinen Senders. Eingeschüchtert zogen Werbekunden ihre Aufträge zurück: „Ihr seid jetzt als Alewitensender verschrien. Wenn ich weiter bei euch werbe, verliere ich Kunden.“ – Ali Yildirim weist den Stempel „Alewitensender“ von sich: „Wir lassen uns von niemandem vereinnahmen. Wir sehen uns als Bildungsfernsehen und bemühen uns um Kommunikation zwischen den verschiedenen Gruppen der Berliner Gesellschaft.“

Das Toleranzverständnis von AYPA-TV mißfällt auch Vertretern linker Organisationen. „Uns wird übelgenommen, daß wir mit Repräsentanten fundamentalistischer Gruppen ebenso das Gespräch suchen wie mit deutschen Polizisten und nicht jede Schlägerei zwischen deutschen und türkischen Jugendlichen als Rassismus bezeichnen“, erklärt seine Kollegin.

So erfolgreich, konsequent und journalistisch qualifiziert AYPA- TV auch arbeitet – wirtschaftlich befindet sich der Sender auf Kollisionskurs. Bei der Frage nach der Zukunft seines Senders ringt Yildirim um Fassung. „Wenn wir nicht schnell Unterstützung bekommen, müssen wir den Sendebetrieb einstellen“, sagt er.

Am vergangenen Wochenende wurde deshalb in Berlin ein Förderverein als Überlebenshilfe für den kleinen deutsch-türkischen Sender gegründet, der über die türkische Community und die interessierten Deutschen hinaus für AYPA-TV wirken soll. Dantschke: „Zwar versichern uns die Vertreter der Immigrantenorganisationen bei jeder Gelegenheit, wie wichtig unsere Arbeit sei, aber zu mehr als einem Schulterklopfen reicht die Solidarität dann doch nicht.“

Und Yildirim nennt den Preis seiner journalistischen Leidenschaft: Lediglich die Hälfte der monatlichen Fixkosten in Höhe von 15.000 Mark werden augenblicklich durch Werbeeinnahmen eingespielt. „Den Rest finanziere ich durch meine Dolmetschertätigkeit und durch Kurse, die ich an der Volkshochschule gebe.“ Ein Familienleben sei da kaum möglich, bedauert seine Frau Hülya Yildirim, die die Anrufe und die Termine von AYPA-TY koordiniert, wenn das Team unterwegs ist.

Auch Dantschke zahlt ihren Tribut: Siebzehn Kilo hat die stellvertretende Chefredakteurin durch den Dauerstreß der letzten beiden Jahre verloren. Glücklicherweise ist sie finanziell abgesichert. Sie lebt von Arbeitslosengeld.

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