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„Wir werden völlig allein gelassen“

■ Spasoje Perović, Korrespondent der serbischen Zeitung „Vreme“ in Banja Luka, über die Opposition gegen Serbenchef Karadžić

taz: Banja Luka hat den Ruf, eine Hochburg der serbischen Opposition gegen Radovan Karadžić zu sein. Woran liegt das?

Spasoje Perović: Banja Luka hat immer, auch in den Tagen des sozialistischen Jugoslawiens, in einer Art Opposition – oder sagen wir Konkurrenz – zu Sarajevo gestanden. Banja Luka ist die zweitgrößte Stadt Bosniens nach Sarajevo, und die Bürger hier glauben, daß Sarajevo immer mehr Ehre, Respekt und staatliche Gelder als Banja Luka bekommen hat. Nun aber ist Pale, ein winziges Dorf, die Hauptstadt der „Republik Srpska“. Das können die Menschen hier nicht akzeptieren.

Ihr Bürgermeister, Herr Radić kritisiert, daß Banja Lukas Einnahmen von Pale aus verteilt werden. Dennoch wäre es wohl zuviel, ihn als Mitglied der Opposition gegen Karadžić zu bezeichnen.

Das stimmt. Obwohl es eine wachsende Unzufriedenheit gibt, scheinen die meisten Serben immer noch hinter Karadžićs politischen Zielen zu stehen. Und es gibt für eine Opposition keine Möglichkeit, sich in der „Republik Srpska“ zu entwickeln. Alle Medien sind fest in der Hand Karadžićs und seiner herrschenden Partei, der SDS. In diesen Medien darf man die offizielle Politik nur loben, je mehr, desto besser. Um ganz deutlich zu werden: Wir leben in einer Diktatur, die als Leitparole haben könnte: ein Volk, ein Staat, ein Führer. Andere Meinungen wurden brutal unterdrückt. Vor mehr als einem Jahr hat unsere größte Oppositionspartei, die Serbische Sozialistische Partei (SSP), ein Programmpapier mit ziemlich harten Worten über Karadžić veröffentlicht. Kurz danach haben ihre Vertreter ihre Arbeitsplätze verloren.

Aber es gibt doch oppositionelle Parteien?

Die meisten Parteien in der „Republik Srpska“ sind Scheinparteien, die so SDS-treu sind, daß sie sich kaum von der Karadžić- Partei unterscheiden. Unsere Liberale Partei, die eine breite Unterstützung der Intelligenz hatte, existiert nur noch dem Namen nach. Ihre Mitglieder sind freiwillig ins Ausland gegangen oder wurden gezwungen zu fliehen.

Die SSP ist ein Zweig der SSP in Serbien, deren Chef der serbische Präsident Slobodan Milošević ist. Diese Partei wird von Belgrad finanziert und als Gegenpol zu Karadžić aufgebaut.

Versuchen die demokratischen Parteien Serbiens in Banja Luka eine Opposition aufzubauen?

Im Gegenteil. Diese Parteien, extrem rechte wie auch liberale, arbeiten mit Karadžić zusammen, weil dieser jetzt auch zum Gegner Miloševićs geworden ist. Das empfinden die Demokraten, die hier geblieben sind, als sehr ungerecht. Wir werden völlig allein gelassen.

Gibt es inoffizielle oppositionelle Aktivitäten, wie Publikationen oder Treffen in Wohnungen?

Nein, leider nicht, und ich glaube, daß wir auf so etwas noch lange warten müssen. Interview: Paul Hockenos

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