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SPD darf unter drei Spitzen wählen

■ Nach Scherf haben jetzt Manfred Fluß und Hans-Helmut Euler Kandidatur angemeldet

Wenn die 9.600 Mitglieder der SPD im Land Bremen am 11. Juni an die Urnen gerufen werden, um über den politischen Kurs und die Führungsperson zu entscheiden, dann können sie dafür zwischen drei Kandidaten wählen: Neben Bildungssenator Henning Scherf haben gestern auch Finanzsenator Manfred Fluß und Hans-Helmut Euler ihren Wunsch kundgetan, Präsident des Senats werden zu wollen. Im Unterschied zu Scherf, dessen „Herz“ zwar nach eigener Aussage für Rot-grün schlägt, der angesichts der knappsten Mehrheitsverhältnisse in der Bürgerschaft aber auch „die Tür zur CDU nicht zuschlagen“ will, stehen Fluß und Euler nur für eine Große Koalition zur Verfügung. Euler erklärte gestern sogar definitiv, daß er nur als Präsident des Senats, nicht aber als einfacher Senator in Frage komme.

Gemeinsam erwarten Fluß und Euler vom SPD-Landesvorstand noch vor der Urabstimmung der Mitglieder eine klare Vorgabe, wer die Partei in eine Große Koalition führen soll. Euler kündigte an, daß er im Fall einer Entscheidung für Fluß seine Kandidatur wieder zurückziehen würde. Käme es zu keiner Vorab-Entscheidung, wünscht er sich zumindest ein Wahlverfahren, das nicht allen drei Kandidaten gleiche Chancen gibt.

Denn sonst könnte die Kandidatur der Tennispartner Fluß und Euler leicht dazu führen, daß am Ende Henning Scherf – ähnlich wie beim Votum Scharping-Schröder-Wiczorek-Zeul im letzten Jahr – mit einer relativen Stimmenmehrheit als Sieger aus der Urabstimmung hervorgeht. „Ich bin deshalb für ein gewichtetes Abstimmungsverfahren, bei dem die Mitglieder ihre erste, zweite und dritte Präferenz angeben können“, sagte Euler. Fluß schätzte Eulers Chancen gestern als „gering“ ein, befürchtet jedoch, daß ihn dessen Kandidatur Stimmen kosten werde.

„Revolutionär mit Pensionsberechtigung“

Der inzwischen 53jährige Mediziner für Inneres, Euler, wurde 1976 als jüngster Staatssekretär der Bundesrepublik zweiter Mann im Gesundheitsressort unter Herbert Brückner. Das konservative Ärzteblatt hatte den gebürtigen Bremerhavener damals als „Revolutionär mit Pensionsberechtigung“ bezeichnet. Eine Bewertung, gegen die Euler erfolglos gerichtlich vorging.

Ab 1985 sorgte Euler knapp vier Jahre lang als Chef von Klaus Wedemeiers Senatskanzlei im Rathaus für Ordnung. Im November 1988 mußte er jedoch als Spätfolge des Skandals um den Verwaltungsdirektor der „Schwarzgeld-Klinik“ St.-Jürgen-Straße, Aribert Galla, seinen Hut nehmen. Wedemeier entließ Euler am gleichen Tag, an dem Herbert Brückner mit einer verbitterten Erklärung als SPD-Landesvorsitzender zurücktrat. „Ich hatte zwar mit der Galla-Affäre nichts zu tun, wollte damals aber trotzdem die politische Verantwortung übernehmen“, erklärte Euler gestern die damalige Situation. Daß er nicht selber zurückgetreten war, sondern von Wedemeier entlassen wurde, habe allein „versorgungsrechtliche Gründe“ gehabt, im Klartext also finanzielle Vorteile für ihn bedeutet.

Seit 1989 leitet Euler als Geschäftsführer eine erfolgreiche Gruppe von drei Fernseh-Produktionsunternehmen mit inzwischen rund 100 MitarbeiterInnen, die unter anderem Beiträge für SAT1, VOX, Pro7 und n-tv in Bremen produzieren. Euler war nach seiner Entlassung aus der Senatskanzlei von Wedemeier in Briefen als „Ansprechpartner“ in Medienfragen benannt worden – sehr zum Ärger einiger Mitglieder der Landesmedienanstalt, die sich dadurch in ihrer Funktion als Kontrolleure des Privatfunks im Land Bremen übergangen fühlten. CDU-Fraktionschef Peter Kudella nannte Euler deshalb in einer Bürgerschaftsdebatte „Filzbruder von Wedemeier“.

Zu seiner Kandidatur als SPD-Spitzenmann sei er gekommen, nachdem er von mehreren Genossen aufgefordert worden sei, so Euler gestern, darunter auch sein jetziger Gegenkandidat Manfred Fluß und Klaus Wedemeier. Der Finanzsenator, mit dem er privat befreundet sei, habe ihm noch Ende letzter Woche versichert: „Ich unterstütze Deine Kandidatur.“ Euler gestern nachmittag: „Deshalb bin ich von Fluß' Kandidatur jetzt überrascht.“

In sachlichen Fragen sei er mit dem Finanzsenator „ganz nah beieinander“, so Euler gestern. Und auch Fluß grenzte sich lediglich gegenüber Henning Scherf ab. Der sei im Unterschied zu ihm nämlich „kein Obersparer“. Außerdem erforderten die anstehenden „unpopulären Sparmaßnahmen“ jetzt eine „breite Basis im Parlament“. Schon vor der Wahl hatte Fluß erklärt, daß für ihn Rot-grün mit einer knappen Mehrheit von „zwei oder drei Stimmen“ nicht zu machen sei.

Der 51jährige Fluß war seit 1971 Bürgerschaftsabgeordneter, im vergangenen Sommer wurde er als Nachfolger von Volker Kröning Finanzsenator. Genauso wie Euler hat auch Fluß eine Neigung zu den Medien. Jahrelang war er medienpolitischer Sprecher seiner Fraktion und startete in den 80er Jahren einen letztlich erfolglosen Versuch, Fernsehdirektor bei Radio Bremen zu werden. In seinem neuen Amt fühlt er sich sehr wohl und kann sich deshalb auch vorstellen, in einer rot-grünen Koalition Finanzsenator zu bleiben: „Wenn die Alternative ist Fücks oder ich, dann würde ich überlegen, was für Bremen besser ist.“

Mit Scherf legte sich Fluß gestern auch gleich in einer Sachfrage an. Dessen Vertrag mit der GEW über einen Modellversuch zu neuen Arbeitszeitmodellen für LehrerInnen halte er für „ein falsches politisches Signal“, erklärte der Finanzsenator. Außerdem sei sein Ressort bei den Verhandlungen „nicht beteiligt“ gewesen, und der Vertrag hätte nicht ohne Befassung des Senats unterschrieben werden dürfen.

Dem widersprach Scherfs Staatsrat Reinhard Hoffmann gestern abend in allen Punkten. Fluß' Senatskommission für das Personalwesen sei regelmäßig über den Stand der Verhandlungen mit der GEW informiert worden. Und eine Befassung im Senat sei „nicht erforderlich“. Schließlich handele es sich nur um einen Modellversuch, und dessen Durchführung stehe im Vertrag ausdrücklich unter dem Vorbehalt „der Entscheidungsfreiheit von Bürgerschaft und Senat“.

Dirk Asendorpf

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