: Zufällig ist nichts
Anders als andere führt Louis van Gaal Ajax Amsterdam ins heutige Wiener Champions-League-Finale ■ Von Egon Boesten
Amsterdam (taz) – Als er am 28. September 1991 für den sich in Richtung Real Madrid verabschiedenden Leo Beenhakker das Kommando am Spielfeldrand von Ajax Amsterdam übernahm, war seine erste Tat nicht die einfachste. Er überredete den einflußreichen Jan Wouters, seinen angestammten Platz im Mittelfeld freizumachen für Wim Jonk. Der Anstreicher aus Volendam am Ijsselmeer hatte bei Beenhakker meist zusehen müssen. Mit Hilfe Louis van Gaals wurde er zu einem Weltstar.
Die Art und Weise, wie Aloysius Paulus Maria van Gaal (43), aufgewachsen in einer streng katholischen Familie mit acht Geschwistern, mit seinen Fußballprofis umgeht, ist anders als die anderer Kollegen. „Ich versuche sie zu leiten, aber immer auf der Basis von Argumenten“, begründete der gelernte Sportpädagoge schon vor Jahren seinen Stil. Und wenn er neue Spieler für Ajax begutachtet – auch das kommt trotz des schier unerschöpflichen Reservoirs des Ajax-Talentschuppens vor –, spricht er viel mit ihnen. Van Gaal geht es darum, die Gedankenwelt seiner zukünftigen neuen Mitarbeiter zu erforschen: „Ich gebe nicht nur Order, ich stelle auch Fragen.“
Und fast so, als ob er sich gegen das Gros seiner Kollegen im In- und Ausland absetzen wolle, erzählt er der Lokalzeitung seiner Heimatstadt: „Es gibt Trainer, die glauben, der Konflikt inspiriere zu großen Leistungen. Aber ich glaube nicht daran.“
Als er sich entschloß, die Nachfolge von Beenhakker als Direktor der Fußballprofi-Abteilung von Ajax anzunehmen, wußte er von vornherein: „Wenn man als Trainer eine Idee hat, muß man die Dinge unmittelbar bei der Einstellung klarmachen.“
Noch vor wenigen Jahren konnte eine angesehene Wochenzeitschrift van Gaal, der selbst in Alkmaar, Antwerpen, Sparta Rotterdam, natürlich auch bei Ajax gespielt hat, die Frage stellen, ob nicht genau der schöne Fußball Ajax beim Erfolg im Weg stünde. Seine Antwort im Herbst 1992: „Ajax kann als Kollektiv noch wachsen.“
In Amsterdam ist der Begriff „Kollektiv“ nicht negativ belegt – im Gegenteil. Wenn der Trainer, der wie kaum ein anderer die Ajax- Jugendfußballschule beeinflußt hat, davon spricht, daß in seiner Mannschaft die Fußballer des Jahres 2000 agieren, dann ist das durchaus wörtlich zu verstehen.
Nicht mehr im Falle von Frank Rijkaard (32), den viele Experten zeitweise für den besten Mannschaftsspieler der Welt hielten. Die Nummer 4 von Ajax hört unwiderruflich zum Saisonende am 28. Mai auf. Rijkaard, der am Knie verletzt ist und seit zwei Wochen versucht, mit einem speziellen Sondertraining für das Finale spielfähig zu werden, hat mit dem Gegner AC Mailand zweimal den Meistercup gewonnen (1989 und 1990), dazu Supercup, Weltcup, Meisterschaft. Vor zwei Jahren war der Nationalspieler zu Ajax zurückgekehrt, wo er einst schon mit 17 Jahren in der Ehrendivision zum Einsatz gekommen war. In Wien hat Rijkaard vor genau fünf Jahren, am 23. Mai 1990, mit seinem 1:0-Treffer im Meistercup-Finale gegen Benfica Lissabon den Cup für Milan gewonnen. Diesmal, sagt van Gaal, soll er der Primus jener Ajax- Achse sein, die, „mit Spielern besetzt, die über eine große Technik und eine sehr große taktische Übersicht verfügen“, Milans Niederlage begründen sollen.
Über diese Qualitäten allerdings verfügen bei Ajax eigentlich alle mutmaßlichen Fußballer 2000: von Kluivert, Seedorf, Reiziger, Kanu bis Finidi George und Davids. Das klingt zwar noch nicht so wie Cruyff, aber man hat sich die Namen längst gemerkt. Sie alle gingen durch die Ajax-Schule. Oder muß man auch sagen: durch die Schule von Louis van Gaal, der sein Motto – „Qualität ist es, den Zufall auszuschließen“ – seinen Leuten jeden Tag predigt und gleichzeitig vorlebt.
Womit nicht allein jener Zufall gemeint ist, der das eigene Team schädigt: Als einer seiner Jungkräfte in einem Spiel der niederländischen Ehrendivision ein Tor aus einem unmöglichen Winkel machte, standen die Fans auf den Bänken, während van Gaal am anderen Tag meckerte. Sein Argument: Litmanen habe in der Sekunde des Torschusses viel besser gestanden, die Chance, daß er ein Zuspiel verwandelt hätte, sei viel größer gewesen. Es gab keinen, der widersprach.
Ohne zu übertreiben: Louis van Gaal hat während seiner vierjährigen Zeit als Technischer Direktor von Ajax Großes erreicht, unabhängig davon, ob das Finale der europäischen Champions League heute abend (20.30 Uhr) gegen den AC Mailand gewonnen wird oder nicht.
Als Ajax zu Zeiten Cruyffs Europas Nummer 1 war, mogelte er sich irgendwie ins Stadion, weil die Eintrittspreise für ihn zu teuer waren. Jetzt geht er beim Training auf einem der Plätze rund um das alte Ajax-Stadion „De Meer“ zu einem guten Bekannten, der ihm mal einen Gefallen getan hat und lädt ihn ein auf die Ehrentribüne beim Endspiel in Wien.
Als sich in den Niederlanden das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 50. Male jährte, fragte die Tageszeitung Het Parool Amsterdamer nach ihrer Definition von Freiheit. Die Aussage des Ajax-Trainers stand auf allen Plakaten in der Stadt: „Freiheit ist Respekt vor dem Mitmenschen.“ Van Gaal, dem zur Sportpresse ein distanziertes Verhältnis nachgesagt wird, gibt zu, daß inzwischen 60 Prozent seiner Tätigkeit Pressearbeit ausmacht. Morgen könnte der Anteil noch erheblich höher sein.
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