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Der programmierte Fahrgast-Ärger

Ab Sonntag ist das S-Bahn-Netz um elf Kilometer länger / Die Fahrgastverbände beklagen fehlende Busanschlüsse und Bahnhofsprovisorien / Umland-Anbindung erst im Jahr 2002  ■ Von Thomas Knauf

Tegel im Norden und Lichterfelde Ost im Süden haben wieder S-Bahn-Anschluß. Zum Fahrplanwechsel am Sonntag gehen die insgesamt 11,4 Kilometer langen Strecken Schönholz–Tegel und Priesterweg–Lichterfelde Ost in Betrieb. Damit wurde eine durchgehende S-Bahn-Verbindung zwischen Steglitz und Reinickendorf über Berlins Mitte geschaffen. An sieben Bahnhöfen macht die S-Bahn wieder Station.

Dennoch werden die Fahrgäste einiges zu kritisieren haben. Wohl wichtigster Punkt, den der Fahrgastverband IGEB vorab bemängelte: fehlende Bus-Direktanschlüsse zur neuen Bahn, sowohl im Norden als auch im Süden der Stadt. Weil der Reinickendorfer Bezirk partout nicht auf einige Parkplätze in Bahnhofsnähe verzichten wollte, müssen die Buslinien 124, 125 und 222 über 300 Meter vom Endpunkt Tegel entfernt an der Buddestraße halten. Eine einzige Linie soll direkt am Tegeler Bahnhof stoppen. Lange Fußwege für Busfahrgäste gibt es ebenso an der Steglitzer Station Südende. Auch in Lichterfelde Ost konnte die BVG keine Endhaltestelle für Busse einrichten.

Dafür verkürzen sich dank der neuen Strecken die Zugabstände in der Innenstadt. Künftig rattern durch den Nord-Süd-Tunnel vier S-Bahn-Linien: Die S 1 von Oranienburg über Frohnau nach Wannsee, die S 2 Nordbahnhof– Lichtenrade–Blankenfelde und als neue Verbindungen die S 25 Tegel–Lichterfelde Ost sowie die S 26 Waidmannslust–Lichterfelde Ost. Zumindest auf nur geteilte Zustimmung dürfte allerdings das eingeschränkte Bahnangebot auf dem wiederaufgebauten Streckenast im Norden stoßen.

Während auf der überwiegend zweigleisigen Trasse nach Lichterfelde Ost alle 10 Minuten Züge fahren werden, erlaubt der eingleisig abzuwickelnde S-Bahn-Betrieb nach Tegel nur einen 20-Minuten- Takt. Anders als die Linie nach Lichterfelde Ost wurde der Nordabschnitt der Kremmener Bahn bloß behelfsmäßig hergerichtet.

Um Geld zu sparen, ließen die Bahnplaner aus der Bauverwaltung die Stationen Alt-Reinickendorf, Eichborndamm (früher Eichbornstraße) und Karl-Bonhoeffer- Nervenklinik zunächst nur provosorisch für den einseitigen Zugverkehr an einer Bahnsteigkante ausbauen.

Auch in Tegel sollen die Züge vorerst nur an eine Bahnsteigseite heranfahren. Im Gegensatz zu den anderen Haltepunkten wurde hier jedoch wenigstens der Bahnsteig frisch gepflastert und mit neuen Kantensteinen nebst Blindenleitstreifen versehen. Ein ursprünglich vorgesehener behindertengerechter Zugang (geschätzte Kosten: 100.000 Mark) fiel dann wieder der Sparwut zum Opfer.

Die praktizierte Einfachst-Instandsetzung der Kremmener Bahn könnte den Steuerzahler allerdings später einmal teuer zu stehen kommen. Weil der Senat auf eine durchgreifende Sanierung verzichtete, ergibt sich nämlich später zwangsläufig ein höherer Instandhaltungsaufwand. Eigentlich hätte man das alte Gleisbett komplett von Blättern und Grünzeug befreien müssen, gab Bauprojektleiter Steffen John ein Beispiel. Durch die jetzt im Gleisbett verbleibende Feuchtigkeit könnten die neu verlegten Holzschwellen schneller faulen und müßten eher ersetzt werden.

Nachdem Gutachten ergaben, daß eine Gleichstrom-S-Bahn von Schönholz bis Velten verkehrlich am vorteilhaftesten ist, strebt die Bahn AG nunmehr den Lückenschluß bis Hennigsdorf zum Sommerfahrplan 1998 an. Wie viele andere könnte sich jedoch auch dieser Eröffnungstermin nach hinten verschieben – zur Jahrtausendwende hin. Bis heute ist ein für den Streckenweiterbau notwendiges Planfeststellungsverfahren noch nicht einmal eingeleitet worden. Für die geplante Umlandverbindung von Lichterfelde nach Teltow-Stadt ist auf Brandenburger Seite ebenfalls ein neues Planfeststellungsverfahren erforderlich. Angesichts der gekürzten Bundesmittel für neue S-Bahnen ins Umland gehen die Planer derzeit davon aus, daß frühestens im Jahr 2002 die erste S-Bahn nach Teltow rollt.

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