: Lockerer und offener Islam
Die Musik geht in Ordnung, solange man nicht über „den Körper der Frau“ singt: Ahlam und Aisha Kandisha's Jarring Effects sind marrokanische Bands, die in der Schweiz und Bill Laswells New Yorker Studio Platten aufnehmen ■ Von Thomas Dreger
Marrakesch an einem Abend in den letzten Tagen des Fastenmonats Ramadan: In dem finsteren Keller des „Café Jamal“ im Zentrum der Stadt haben sich rund hundert Jugendliche versammelt, etwa zwei Drittel Männer, ein Drittel Frauen. Sie sitzen in gleichgeschlechtlichen Gruppen zusammen und unterhalten sich – oder besser, sie brüllen sich an, denn aus Lautsprechern dröhnen 2 Unlimited und Snap. Hinter einer Theke werden Kaffee, Tee und Limonade verkauft. Alkohol ist im offiziell islamischen Königreich Marokko zwar nicht selten, aber während des Ramadan ist Einheimischen der Genuß bei Strafandrohung verboten. Dafür riecht es in den hinteren Ecken des Raumes angenehm nach Cannabis.
Der Keller ist ein Geheimtip von Mohammed. Der Mittzwanziger mit dem gepflegten Bart ist Sänger der Gruppe Ahlam (Träume), und wie viele wartet er auf ein Konzert. Wenn während des Ramadan die Sonne untergegangen ist, wird erst gevöllt und dann gefeiert – in von außen kaum erkennbaren Clubs, Kellern und Gartencafés. Plakate, die auf die Veranstaltungen hinweisen, gibt es kaum, Programmzeitschriften überhaupt nicht. Und dennoch spricht sich herum, wo was los ist.
Auf dem Programm des „Café Jamal“ steht eine Gruppe namens Larsad. Die Plakate im Keller zeigen ernste Mienen und Kurzhaarfrisuren, uniforme rote Hemden verleihen den vier jungen Männern eine verblüffende Ähnlichkeit mit den mittleren Kraftwerk.
Nichts davon auf der Bühne: Die Musiker haben auf den Einheitslook verzichtet, tragen Jeans und bunte Hemden und lächeln ein bißchen nervös. Eine Gitarre, eine Oud – die arabische Kurzhalslaute – und ein Synthesizer sorgen für ein arabisch-westliches Melodiengemisch, wobei der Sänger im dunklen Anzug und mit Schlips die optischen Grundanforderungen an einen arabischen Entertainer erfüllt. Binnen weniger Minuten hat er sein Auditorium im Griff. Das Publikum kennt die Texte auswendig, eine Zeile singt der Mann auf der Bühne, die nächste schallt ihm aus hundert Kehlen entgegen. Einige tanzen, allesamt Männer in Jeans, Turnschuhen, weiten Hemden und zumeist Baseballkappen. Die Frauen bleiben auf ihren Stühlen sitzen, wippen mit Köpfen und Füßen und sind darauf bedacht, ihr Ansehen in einer islamischen Gesellschaft nicht durch einen Konzertbesuch zu ruinieren.
Eine seltsame Momentaufnahme einer Gesellschaft, deren Jugend modern sein will, aber in starken Traditionen lebt. Nach vier Stücken tobt das Publikum, nach dem fünften ist plötzlich Schluß. Nach vierzig Minuten Auftritt packen die Musiker ihre Instrumente ein. Kein Mensch ruft nach Zugabe, niemand wirkt enttäuscht.
Alles, was die dritte Klasse angeht
Larsad machen genau die Art von Musik, die Mohammed nicht besonders mag. „Schaabi“ nennt er sie, „Volksmusik“ – was aus seinem Mund abwertend klingt. Im Prinzip traditionelle marokkanische oder arabische Musik, erklärt er, Dutzendware.
Ahlam dagegen verstehen sich als innovativ – auch wenn die Öffentlichkeit es nicht immer mitkriegt. „Früher“, so Mohammed, „hat Ahlam während des Ramadan fast jede Nacht irgendwo in Marrakesch gespielt.“ Doch mittlerweile hätten zwei der Musiker Jobs außerhalb der Stadt. Deswegen sei man in den letzten Monaten nur selten zusammengekommen – zum Einspielen der aktuellen CD. Wie die meisten marokkanischen Musiker können Ahlam nicht von ihrer Musik leben, die Bandmitglieder haben entweder eine feste Arbeit oder halten sich mit Jobs über Wasser. Geprobt wird nach Feierabend, zum Beispiel bei Ahmed und seinen Eltern in der Wohnung.
Ahlam machen HipHop – jedenfalls eine Art davon. Die soeben erschienene CD „Acting Salam“ ist der zweite in Europa und den USA erhältliche Tonträger. „Revolt Against Reason“ kam 1993 in den „World Music Charts Europe“ auf Platz 6, in Marokko, wo die Aufnahme nur als Kassette erhältlich ist, hat sie sich kaum verkauft. Die marokkanische Firma hätte sie „schlecht vertrieben“, meint Mohammed. Mohammed hat Geschichte studiert und ist derzeit arbeitslos. Er trägt einen eleganten Trenchcoat, legt aber Wert auf seine Herkunft aus der Unterschicht. „Ich singe über Humanität, über Armut. Ich singe auch über politische Dinge, die Misere, die Arbeitslosigkeit, über alles, was die dritte Klasse unserer Gesellschaft angeht“, erklärt er.
„Ghab“ („Verschwunden“) lautet einer der Titel auf „Acting Salam“. Darin heißt es: „Er hat mit uns zusammengelebt und alle Leute gemocht. Aber er wurde beschuldigt, ein Bandit zu sein, ein Verräter, einer, der am Rand stand. Eines Nachts verschwand er, und niemand weiß wohin. Alle haben ihn verzweifelt gesucht und gefragt: Ging er freiwillig, oder wurde er getötet?“ In Marokko, wo das Verschwindenlassen von unliebsamen Personen zu den Herrschaftsmethoden des Königs Hassan II gehört, könnten solche Zeilen einen Musiker in Schwierigkeiten bringen. Im Gespräch ist Mohammed auffällig bemüht, seine Loyalität zum Monarchen zu bekunden.
„Unser König ist Muslim und gerade deshalb ganz und gar offen“, erklärt er. Zwar bescherten Arbeitslosigkeit und Armut im benachbarten Algerien militanten Islamisten Zulauf, doch sei das nur Bauernfängerei. Mit „dem wahren Islam“ habe der Islamismus nichts zu tun. Seine Religion, die Mohammed in Stücken wie „Ya Illah“ besingt, sei ein „lockerer und offener Islam“. Daß in Algerien Musiker wie der Rai-Star Cheb Hasni von Islamisten ermordet wurden, hält Mohammed für „schrecklich und unglaublich dumm“. Schließlich sei der „wahre Islam nicht gegen die Musik und den Gesang“, allenfalls gegen „Lieder, die schlechte Themen behandeln“. Welche das seien? „Zum Beispiel Lieder, die vom Körper der Frau handeln, von Dingen, über die man nicht spricht, wie zum Beispiel Sex.“ Der Islam rate, „über die guten Dinge zu reden. Über Gott, den Propheten und unsere gesellschaftlichen Probleme. Der Islam ist nicht gegen Gesang, aber er ist gegen Lieder über schlechte Themen. Verstehst Du?“
Das ist sehr diplomatisch ausgedrückt. Doch trotz solcher textlichen Einschränkungen dürfte die Musik von Ahlam Islamisten als „verwerflich“ gelten. Die ausschließlich arabischen Texte sind unterlegt mit einem Ragga-Dub- Bass und Synthesizersequenzen, die mal brutal verzerrt klingen und mal wie eine Gruppe beschwingter Bläser. Von gesungener Koranrezitation sind Ahlam damit etwa soweit entfernt wie die Sex Pistols von christlicher Liturgie.
Marrakesch, Basel, New York
Für diesen Sound sind vor allem zwei Nichtmarokkaner verantwortlich: der Schweizer Pat(rick) Jabbar al-Shaheed und Bill Laswell, US-Amerikaner, Bassist und als Produzent eine lebende Legende. Jabbar al-Shaheed, dessen Familienname „der Allgewaltige, der Märtyrer“ eine glatte Erfindung ist, hat auch schon „Revolt Against Reason“ produziert und wird als Bandmitglied betrachtet. Laut Info der aktuellen CD hat er Synthesizer bedient und ist für Sampling verantwortlich. „Wir machen die Grundmischung der Aufnahmen hier in Marrakesch. Dann nimmt Patrick die Bänder in die Schweiz und macht den Rest.“ Das Ergebnis sei bei der letzten Platte schon „überraschend“ gewesen. Jedoch habe keines der Bandmitglieder das Gefühl, daß ihnen die musikalische Leitung des Projekts aus der Hand genommen wird. In der Schweiz seien einfach die technischen Voraussetzungen besser – meint Mohammed.
Erstaunt dürften Ahlam auch gewesen sein, als sie „Acting Salam“ zum ersten Mal hörten – wegen Bill Laswell. Der World-Music-Mentor hat Teile der Aufnahmen im fernen New York bearbeitet, abgemischt und mit dem eigenen Bass unterlegt. Ahlam hat er nie getroffen. Dennoch ist das Vertrauen der marokkanischen Musiker in seine Arbeit beinahe grenzenlos. „Bill Laswell ist der professionellste von uns. Warum sollten wir nicht mit ihm zusammenarbeiten?“ fragt Mohammed. Und außerdem: „Es ist unsere Chance. Schließlich sind wir keine weltbekannte Gruppe, sondern Debütanten.“
Für Marokko etwas sehr, sehr Neues
Zentrum und Symbol der Multikulturalität von Marrakesch ist der Dschema al-Fna. Der „Platz der Geköpften“, auf dem früher angeblich die Schädel von Hingerichteten zur Schau gestellt wurden, ist allabendlich Anziehungspunkt für Schausteller, Akrobaten, Musiker und ihr Publikum. Auf dem Platz mischen sich die Stimmen von Märchenerzählern und Quacksalbern mit den getrommelten Rhyth
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men der Berber und einer an eine Autobatterie angeschlossenen E- Gitarre, auf der jemand „Johnny B. Goode“ spielt.
Hoch über dem Platz, im vierten Stock des „Café de France“, sitzen zwei junge Männer und trinken Pfefferminztee. Ahmed und Habib, der eine Sänger, der andere Gitarrist der Band Aisha Kandisha's Jarring Effects. In ihrer Heimat spielt sie kein Radiosender, und nur einige gute Freunde kennen ihre Musik, in Deutschland und der Schweiz waren sie auf Tournee, in den USA werden ihre zwei CDs gerade vom Publikum entdeckt. Produziert werden „Aisha Kandisha“, wie sie sich selbst kurz nennen, von Patrick Jabbar al-Shaheed und Bill Laswell.
„Wir haben bis heute noch kein Konzert in Marokko gegeben“, sagt Habib scheinbar ohne Bedauern und schiebt die Erklärung hinterher: „Die Marokkaner würden unsere Musik nicht akzeptieren, weil es für sie etwas sehr, sehr Neues ist.“
Nördlich von Tanger ist das alles anders, wie eine Europatournee im vergangenen Jahr zeigte. „In Rotterdam haben wir auf einem Festival vor zwölftausend Leuten gespielt“, erinnert sich Habib. Aber auch bei den zahlreichen Gastspielen als Vorgruppe von irgendwelchen lokal bekannten Gruppen hätten sie das Publikum mitgerissen. Im Vergleich zu Aisha Kandisha klingen selbst Ahlam zahm. Die arabischen Texte sind eher Fragmente und haben, so Ahmed, „mit Politik überhaupt nichts zu tun“. Dazu wimmert mal eine Geige, mal fährt ein Synthesizer dazwischen, mal zirpt eine Oud, und meistens liegt ein Rhythmus darunter, der eine Nummer zu schnell ist oder zu langsam oder beides – „Jarring Effects“ (Knarrende Effekte), die nicht aus Marrakesch stammen, sondern aus Basel und New York.
„Bei dem ersten Album haben wir eine ganz normale Aufnahme gemacht mit marokkanischen Rhythmen, ohne Krach und so etwas“, erinnert sich Ahmed. Danach habe Patrick die Aufnahme „sehr aufwendig abgemischt“. Und Ahmed ergänzt: „Als das erste Album rauskam, haben wir Patrick gefragt: Was hast du damit gemacht? Als wir seine – wie soll ich sagen – Interpretationen der Stücke das erste Mal gehört haben, war das für uns etwas Bizarres.“
Erst später, nach Diskussionen und immer wieder vorgespielten Bändern, seien die Musiker überzeugt gewesen. Jetzt, vier Jahre danach und mit zwei in Europa und den USA veröffentlichten CDs, stehen die derzeit sieben Musiker zu Aisha Kandishas Status als Avantgarde, die in der Heimat niemand kennt. Bei der Zählung der Bandmitglieder ist selbstverständlich Patrick einbezogen. Der Schweizer ist ebenso „Mitglied, Freund und Manager“ wie bei Ahlam. Um live so zu klingen wie auf CD, mußten die Stücke aber erst einmal neu geübt werden. Vor der zurückliegenden Tournee habe das die Musiker „etwa einen Monat gekostet“, räumt Ahmed lachend ein.
Ein Gespenst geht um ...
Neben der Musik steht der Name der Gruppe einem Erfolg in ihrer Heimat entgegen. „Wenn du nicht schlafen willst, dann kommt Aisha Kandisha!“ – den Spruch kennen in Marokko die meisten Kinder von ihren Müttern. Auf der Hülle der ersten CD der Gruppe wird der Schriftsteller Paul Bowles zitiert: „Aisha Kandisha ist ein Geist in Form einer Frau. Praktisch jeder Marokkaner hatte in der einen oder anderen Art Kontakt zu ihr. Ich habe ein Buch, in dem heißt es, vor etwa 25 Jahren seien 35.000 marokkanische Männer mit ihr verheiratet gewesen. Viele der Patienten von Bir Rachid – der Psychiatrie – sind mit ihr verheiratet.“
„Die eigentliche Geschichte von Aisha Kandisha ist in Marokko kaum bekannt“, korrigiert Ahmed Bowles – und damit den Aufdruck auf der Hülle der eigenen CD. „In Wirklichkeit war sie eine Marokkanerin, die zur Kolonialzeit mit einem portugiesischen Gouverneur verheiratet war.“ Aisha Kandisha sei dann zu den Marokkanern übergelaufen und habe sie im Kampf gegen die Kolonialisten unterstützt.
Bei der Europatournee der Gruppe habe der Name dann tatsächlich einige versprengte Landsleute zu ihren Konzerten gelockt. Die meisten seien jedoch enttäuscht gewesen: „Sie haben erwartet, daß sich hinter unserem Namen eine Frau verbirgt.“
Ahlam, aktuelle CD: „Acting Salam“, davor „Revolt Against Reasons“ (1991).
Aisha Kandisha's Jarring Effects: „Shabeesation“ (1993), „El Buya“ (1991).
Alle über Barbarity, Barraka el Farnatshi Productions, Vertrieb: RecRec, Basel.
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